Medizinische Kurznachrichten der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie
(Prof. Helmut Schatz, Bochum)

Bitte beachten Sie den Haftungsausschluss für medizinische Themen.

Prolaktin als Vorläufermolekül für gefäßaktive Vasoinhibine: Studien bei diabetischer Retino-/Makulopathie und peripartaler Kardiomyopathie


Bochum, 4. Januar 2018

Am 11. Dezember 2017 erschien in „Frontiers in Endocrinology“ die Mini-Review „From Bench to Bedside: Translating the Prolactin/Vasoinhibin Axis” von Jakob Triebel aus Bochum, jetzt Nürnberg, zusammen mit mexikanischen Kolleginnen und Kollegen (1). Eingangs  beschreiben die Autoren, dass die aus Prolaktin als Vorläufermolekül durch unterschiedliche Aminosäurenabspaltungen entstehenden  Vasoinhibine das Wachstum und die Funktion von Gefäßen regulieren. Beeinflusst werden durch sie aber auch die Sekretion anderer Hormone, entzündliche, immmunologische und Gerinnungsvorgänge  sowie das  Verhalten. Diese pleiotropen Substanzen entstehen in den verschiedenen Zielgeweben durch enzymatische Prozesse wie etwa bei der peripartalen Kardiomyopathie eine hohe Aktivität des Prolaktin-spaltenden Cathepsin-D.

Ausgehend von den wachsenden Kenntnissen wurden zwei klinische Untersuchungsreihen gestartet, in denen die Vasoinhibine  Ziel der Interventionen darstellen, einmal durch Steigerung und das andere Mal durch Hemmung:

1.) Einfluss von Levosulpirid, einem selektiven Dopamin SD2-Rezeptor-Antagonisten, bei den diabetischen Netzhautveränderungen Makulaödem und Retinopathie (2). Levosulpirid ist ein Benzamid-Derivat und stellt ein atypisches Neuroleptikum dar. Durch Blockade der  Dopaminrezeptoren an den laktotrophen Zellen der Hirnanhangdrüse steigt Prolaktin und als Folge werden  die Vasoinhibine im Auge erhöht, welche das  Wachstum, die Permeabilität und Dilatation der Gefäße der Retina hemmen. Ausgangspunkt für diese Studie waren Rattenversuche, bei denen dadurch die Vascular Endothelial Growth Factor (VEGF) -induzierte und die diabetesinduzierte Vasopermeabilität verringert wurden (3).

2.) Umgekehrt hofft man, mit einem Dopamin D2-Rezeptor-Agonisten, dem  Bromocriptin,  durch Absenkung des Vorläufermoleküls Prolaktin  die Vasoinhibine im Herzmuskel abzusenken und so die peripartale Kardiomyopathie zu bessern. Pilotstudien hatten mit Bromocriptin als add-on-Medikament zur Standard-Behandlung einer Herzinsuffizienz eine Normalisierung der linksventrikulären Funktion und der Herzdurchmesser ergeben (4). Eine randomisiert-kontrollierte Multicenter-Studie bei der peripartalen Kardiomyopathie in Deutschland (5) ist abgeschlossen. Die Publikation im Jahr 2017 beschreibt mit Bromocriptin einen hohen Prozentsatz der Rückbildung der linksventrikulären Funktionsstörung und eine niedrige Morbidität und Mortalität (6).

Kommentar

Diese Ergebnisse über Prolaktin als Muttersubstanz“ mit ihren Abkömmlingen, den Vasoinhibinen, sind  aufsehenerregend. Nicht alle Endokrinologen werden diese Richtung der Prolaktinforschung verfolgt oder zur Kenntnis bekommen haben. Ein Zusammenhang zwischen Hypophyse und Diabetes ist schon seit den 1930er Jahren bekannt und B.A. Houssay hat dafür im Jahr 1947 den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin erhalten. Einige Jahre später wurde ein Zusammenhang zwischen Hypophyse und diabetischer Retinopathie beobachtet. Freilich dachte man zuerst, der günstige Effekt einer Hypophysektomie auf die diabetische Retinopathie sei durch den Wegfall des Wachstumshormons bzw. des IGF-I bedingt. Aber es wurde auch schon die Abnahme des Prolaktins als eine mögliche Ursache untersucht, jedoch nicht weiter verfolgt (7). Bromocriptin ist übrigens in den USA von der FDA seit Mai 2009 zur Behandlung des Typ-2-Diabetes zugelassen, da damit zufolge seines zentralen Angriffspunktes eine HbA1c-Senkung mäßigen Grades gefunden wurde.

Über einen Zusammenhang zwischen Prolaktin und der peripartalen Kardiomyopathie gibt es auch schon seit Jahrzehnten Berichte. Näher wurden diese in den 1980er Jahren untersucht, sowohl bei Ratten als auch beim Menschen (8). In der Folge wurde der anti-angiogene Effekt eines 16kDa-Prolaktinfragments und dessen Entstehung durch Cathepsin-D entdeckt. Dass die um bis zu 20fach höhere Prolaktinsekretion peri- und postpartal erhöhte Vasoinhibinspiegel im Herzmuskel und eine Hemmung von dessen Mikrovaskularisation bewirken können, erscheint pathogenetisch verständlich. Der positive Effekt der abgeschlossenen Studie mit Bromocriptin bestätigt diese Annahme.

Jakob Triebel et al.  weisen am Ende ihrer Review nachdrücklich auf die potenziellen Risiken solcher  therapeutischer Interventionen hin. Diese betreffen insbesondere die Beeinflussung der Blutgerinnung und auch mögliche Blutdruckeffekte. Tierexperimentell zeigten sich auch mentale Störungen wie gesteigerte Angst oder Störungen in Verbindung mit Depressionen.

Experimentell-Technisches: Ein großes Hindernis in der Erforschung der Vasoinhibine und ihrer Wirkungen ist das Fehlen  geeigneter quantitativer Vasoinhibin-Assays. Es wurden bisher die Massenspektrometrie und die Immunpräzipitation mit Anti-Prolaktin-Antikörpern, gefolgt von Western Blots eingesetzt. Diese kombinierte Technik hat jedoch eine geringe Sensitivität, ist schlecht quantifizierbar und kann nicht gut zwischen den verschiedenen Isoformen der Vasoinhibine  unterscheiden.

Ausblick: Neben den oben besprochenen Krankheitsbildern kommen folgende Erkrankungen als mögliche Gebiete für die Prolaktin/Vasoinhibin-Forschung infrage: Brustkrebs, Prostatakrebs, Präeklampsie, Eklampsie, schwangerschaftsbedingter Hypertonus, pulmonale Hypertension und auch die rheumatoide Arthritis.

Die Endokrinologie zeigt sich auch auf diesem Feld als das weite, integrative Gebiet schlechthin. Es birgt stets Überraschungen und bleibt immer spannend. Es bereitet dem Rezensenten Freude, diese faszinierende Disziplin bis in alle ihre Verästelungen kommentierend zu begleiten.

Helmut Schatz

Literatur

(1) J. Triebel et al.: From Bench to Bedside: Translating the Prolactin/Vasoinhibin Axis.
Frontiers in Endocrinology 11. December 2017. Vol 8, Article 342. DOI: 10.3389/fendo.2017.00342

(2) CinicalTrials.gov Identifier: NCT03161652

(3) E.Arnold et al.: High levels of serum prolactin protect against diabetic retinopathy by increasing ocular vasoinhibins.
Diabetes 2010. 59(12):3192-3. DOI: 102337/db10.0873

(4) K. Sliwa et al.: Evaluation of bromocriptine in the treatment of acute severe peripartum cardiomyopathy: a proof-of-concept pilot study.
Circulation 2010. 121(13):1464-1473. DOI:10.1161/CIRCULATIONAHA.109.901496

(5) ClinTrials.gov Identifier: NCT00998556

(6) D. Hilfiger-Kleiner et al.: Bromocriptine for the treatment of peripartum cardiomyopathy: a multicentre randomized study.
Eur Heart J 2017. 38(35):2671-2679. DOI:10.1093/eurheartj/ehx355

(7) M. Harter et al.: Diabetic retinopathy and prolactin. Lancet 1976 2(7992)961-962.
DOI: 10.1016/S0140-6736(76)90923-5

(8) Y.N. Sinha et al.: Cleaved prolactin: evidence for its occurrence in human pituitary gland and plasma.
J Clin Endocrinol Metab 1985. 60(2):239-243

Bitte kommentieren Sie diesen Beitrag !

Posted on by Prof. Helmut Schatz
This entry was posted in Allgemein and tagged , . Bookmark the permalink.

Bitte kommentieren Sie diesen Beitrag!

- Kommentare sind auf 1000 Zeichen beschränkt. Bei Umgehen dieser Regelung durch mehrere aufeinanderfolgende Kommentare werden diese gelöscht.
- Wir schätzen eine wissenschaftlich-sachliche Diskussion.
- Bei erbetenen Fernberatungen hat der Leser zu entscheiden, inwieweit er seine persönlichen Daten öffentlich bekanntgeben möchte (Datenschutz!)

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

 Verbleibende Zeichenanzahl

Mit dem Absenden des Formulars erklären Sie sich mit der Verarbeitung der übermittelten Daten einverstanden. Details hierzu finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.