Bericht von der D-A-CH – Tagung der Endokrinologen in München 2016
Bochum, 30. Mai 2016:
Eine 2015 erschienene Studie (1) zeigt eine erschreckend hohe Anzahl an Nebennierenrinden(NNR)-Krisen bei geschulten Patienten mit chronischer NNR-Insuffizienz. Es wurden 8,3 NNR-Krisen pro 100 Patientenjahre nachgewiesen. 0,5 Todesfälle aufgrund der NNR-Krise ereigneten sich pro 100 Patientenjahre. Die amerikanische Endocrine Society hat dieses Jahr Guidelines zur Diagnostik und Therapie der primären Nebenniereninsuffizienz veröffentlicht (2), die auch im DGE-Blog besprochen wurden (3). Leider existieren in Deutschland keine offiziellen Richtlinien zur Diagnostik, Therapie und Schulung bei sekundärer NNR-Insuffizienz. Die Arbeitsgemeinschaft Hypophyse und Hypophysentumore und die Sektion Nebenniere, Steroide und Hypertonie der DGE haben sich zum Ziel gesetzt, mit einer Fragebogenaktion die Vorgehensweisen und Behandlungsgewohnheiten bei sekundärer NNR-Insuffizienz in der alltäglichen klinisch-endokrinologischen Praxis in Deutschland in Erfahrung zu bringen. Insgesamt haben 50 Praxen und Kliniken (46x internistisch-endokrinologisch; 2x pädiatrisch-endokrinologisch; 2x neurochirurgisch) an der Befragung teilgenommen. Die brandaktuellen Ergebnisse wurden von Marcus Quinkler (Sprecher der Sektion Nebenniere) bei der Frühjahrssitzung der AG Hypophyse während der deutsch-österreichisch-schweizerischen (D-A-CH) – Endokrinologen-Tagung in München am 26. Mai 2016 vorgestellt:
Diagnostik bei NNR-Insuffizienz: Wie zu erwarten erfolgt eine Testung der Hypophysen-NNR-Achse fast immer bei Makroadenomen der Hypophyse, bei anderen klinischen Situationen/Entitäten ist die Testung eher uneinheitlich. Als bestätigende Tests für den Nachweis einer sekundären NNR-Insuffizienz werden ACTH-Test, Insulinhypoglykämie-Test (IHT) und CRH-Test etwa gleich häufig eingesetzt, und Cut-off Werte variieren stark. Das Pausieren von Hydrocortison vor Testung umfasst eine beträchtliche Spannbreite von 8 Stunden bis >120 Stunden. Auch die postoperative Re-Evaluation der NNR-Achse stützt sich erstaunlicherweise meist nur auf die klinische Symptomatik und die Bestimmung der Basalwerte.
Therapie bei NNR-Insuffizienz: Die Substitutionsform der Glukokortikoide (Hydrocortison-Präparat, Tagesdosis, Verteilung der Dosen) wird sehr unterschiedlich gehandhabt. Eine Substitution von Mineralokortikoiden (Astonin H, Florinef) erscheint bei der sekundären NNR-Insuffizienz generell nicht erforderlich. Überraschend ist, dass doch einige Zentren Hormonmessungen zur Beurteilung der Substitutionsdosis durchführen. Für ein Notfallset werden zusätzliche Hydrocortison-Tabletten, Prednisolon-Zäpfchen oder eine Hydrocortison-Notfallampulle präferiert und verordnet.
Schulung bei NNR-Insuffizienz: In der Mehrzahl der Kliniken und Praxen erfolgt eine Schulung der Patienten bezüglich ihrer Erkrankung. Diese wird meist vom Arzt, aber auch von Arzthelferinnen und Endokrinologie-Assistentinnen abgehalten. Bei Fieber oder Durchfall empfiehlt man fast unisono eine deutliche Dosiserhöhung der Substitutionsdosis, abhängig vom Schweregrad auf mindestens das Doppelte bis zum Dreifachen der üblichen Tagesdosis des Patienten. Sehr heterogen sind jedoch die Empfehlungen bei milden Erkrankungen (Husten, laufende Nase ohne Fieber), bei sportlichen Aktivitäten oder zahnärztlichen Behandlungen.
Kommentar der Autoren
Die Befragung zeigt, dass Diagnostik, Therapie und Schulung bei sekundärer NNR-Insuffizienz in Deutschland sehr heterogen gehandhabt werden. Eine besondere Diskrepanz bei der Diagnostik ergibt sich für das Intervall des Pausierens einer Kortison-Einnahme vor der Testung. Ein diagnostisches Defizit besteht bei der postoperativen Re-Evaluation der Hypophysen-NNR-Achse. Die Autoren vertreten die Auffassung, dass postoperativ eine NNR-Insuffizienz mit einem Stimulationstest eindeutig bestätigt oder ausgeschlossen werden sollte. Auch die Substitution der NNR-Insuffizienz erfolgt in Deutschland nicht einheitlich. Hinsichtlich der Schulung besteht eine Unsicherheit über den Substitutionsbedarf insbesondere bei leichten Erkrankungen und nicht krankheitsbedingten körperlichen Belastungen.
Diagnostik, Therapie und Schulung der sekundären NNR-Insuffizienz sind sehr anspruchsvoll und komplex. Die Umfrage hat die Behandlungsrealität in Deutschland erfasst. Wir hoffen, dass die Studie für die Zentren hilfreich ist, um sich selbst einzuordnen und die eigenen Praktiken zu reflektieren. Die Ergebnisse können als Grundlage für Behandlungsrichtlinien und Empfehlungen dienen.
Autoren
Prof. Dr. Jürgen Honegger (Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Hypophyse der DGE)
Prof. Dr. Marcus Quinkler (Sprecher der Sektion Nebenniere, Steroide und Hypertonie der DGE)
Prof. Dr. Stephan Petersenn
Literatur
(1) Hahner S., Spinnler C., Fassnacht M., Burger-Stritt S., Lang K., Milovanovic D., Beuschlein F., Willenberg H.S., Quinkler M., Allolio B.: High incidence of adrenal crisis in educated patients with chronic adrenal insufficiency: a prospective study.
J. Clin. Endocrinol. Metab. 100: 407-416, 2015
(2) Bornstein S.R., Allolio B., Arlt W., Barthel A., Don-Wauchope A., Hammer G.D., Husebye E.S., Merke D.P., Murad M.H., Stratakis C.A., Torpy D.J.: Diagnosis and treatment of primary adrenal insufficiency: An Endocrine Society Clinical Practice Guideline.
J Clin Endocrinol Metab 101: 364–389, 2016
(3) Schatz H.: Akut erkranke Patienten mit unklaren Symptomen auf Morbus Addison testen, bei schweren Symptomen sofort mit Hydrocortison behandeln und nicht erst Testresultate abwarten.
DGE-Bogbeitrag vom 23. Februar 2016
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