Medizinische Kurznachrichten der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie
(Prof. Helmut Schatz, Bochum)

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Der Sikhismus – Zum Weihnachtsfest 2019


Wien und Bochum, im Dezember 2019:

Es ist schon Tradition, dass vor dem Weihnachtsfest der Christen im „Weihnachtsblog“ ein Blick auf andere Religionen und Weltanschauungen erfolgt. Diesmal hat Professor Ehrenberger, Wien über seine  Erlebnisse mit der Welt der Sikhs geschrieben.

Vorab zur  Einführung:  Der Sikhismus ist eine in der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts von Guru Nanak Dev im Punjab in Nordindien gestiftete monotheistische Religion mit strenger Organisation. Die Religionsgemeinschaft umfasst etwa 25 – 27 Millionen Anhänger, wovon über vier Fünftel in Indien leben. Sie sind mit etwa 2%  der indischen Bevölkerung die viertgrößte Religionsgemeinschaft des Landes . In Deutschland leben über 25.000 Sikhs, in Österreich knapp 2.000 und in der Schweiz schätzt man ihre Zahl auf etwa 1.000. In Frankreich sind es  10.000, in Italien 40.000 – 70.000.  Männliche Sikhs erkennt man sofort an ihrem aufwendig gebundenem Turban  („Dastar“), und dem nicht geschnittenem Haar, das kunstvoll unter den Turban gekämmt wird. Manche Sikh-Frauen tragen, vor allem in England, ebenfalls diesen Turban.

Verehrt wird ein gestaltloser Schöpfergott, der weder männlich noch weiblich ist. Das Kastenwesen wird offiziell abgelehnt. Es existieren genaue Vorschriften etwa für die Kleidung, die Namensgebung und für das öffentliche Auftreten. Ziel ist nicht das Einhalten von religiösen Dogmen, sondern religiöse Weisheit  zu praktizieren und für den Alltag nutzbar zu machen.

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Im Folgenden schildert  Professor Klaus Ehrenberger, Wien seine Erlebnisse mit einem Sikh:

Während einer meiner beruflichen Ausflüge in die indische Hauptstaht Delhi stellten mir die einladenden Veranstalter des bevorstehenden Kongresses überraschenderweise ein Auto mit Chauffeur zur Verfügung. Der Chauffeur war ein Sikh mit Turban und gepflegtem Bart, der seine primäre Aufgabe darin sah, mich morgens früh nicht gleich zum Veranstaltungsort, sondern in den Sikh-Tempel, den Gurdwara zu führen. Das mehrmalige, unvermeidliche mogendliche Ritual begann mit dem Ablegen der Schuhe, dem Durchwaten eines grossen, seichten Wasserbeckens, dem Betreten des Gebetshauses, dem feierlichen Umkreisen des geschmückten Podiums, auf dem drei würdige Sikhs aus dem heiligen Buch lasen, der Verabreichung einer Art „Hostie“, und der Rückkehr durch das Wasserbecken zu Schuhen und Auto – danach konnte das offizielle Tagesprogramm beginnen.

Das Morgengebet meines Chauffeurs im Kreise seiner Glaubensbrüder hat mich sehr beeindruckt und veranlasst, auf die Glaubenssätze und Verhaltensweisen der mir bis dato fremden Religion näher einzugehen, ohne Anspruch auf vollständiges Verständnis.

Die Lebensweise der Sikhs ist tief in den schriftlichen Niederlegungen des heiligen Buches verwurzelt, das auf den nordindischen Wanderprediger Guru Nanak (1469 – 1539) zurückgeht, dem neun weitere Gurus folgten. Die gesammelten Schriften der zehn Sikh Gurus, sowie weitere heilige Schriften aus Nordindien, bilden das spirituelle Vermächtnis der Sikhs im kodifizierten heiligen Buch , das als „Guru Granth Sahib“ göttliche Verehrung geniesst. Den Schriften folgend, betrachten die Sikhs die Welt als einheitliche Schöpfung eines transzendenten Gottes, dem der starke Wille zur fortschreitenden Evolution innewohnt.In diesem Schöpfungsszenario sind alle Menschen gleichberechtigt, tolerant, hilfsbereit und geniessen persönliche und kollektive Freiheiten. „Liberté, Egalité, Fraternité“ der französischen Revolution sind vorweggenommen!

Das Alltagsleben der Sikhs ist pragmatisch, lebensbejahend, tugendhaft und frei von einschränkenden Dogmen, aber tief religiös. Als Zeichen ihrer Solidarität tragen sie den gemeinsamen Namen „Singh“ und fühlen sich verpflichtet, die Früchte ihrer Arbeit mit anderen zu teilen. Die langen Haare unter dem Turban und die Bärte werden als Wertschätzung der wuchernden Natur angesehen. Zu deren Pflege tragen Sikhs jederzeit einen Holzkamm, zur Verteidigung und Schutz der Bedürftigen einen Dolch und als Zeichen der Verbundenheit mit Gott einen eisernen Armreif bei sich.

Eine eigenartig dunkle Seite im Leben der Sikhs bildet der Glaube an den Kreislauf einer Wiedergeburt, der durchaus schmerzlich empfunden wird. Ähnlich dem Buddhismus wird als Erlösung eine Art Nirvana angestrebt.

Die Hartnäckigkeit meines indischen Chauffeurs öffnete mir dereinstens einen kurzen Einblick in die spirituelle Welt der Sikhs, deren 25 Millionen Mitglieder heute hohes politisches und wirtschaftliches Ansehen inmitten des indischen Milliardenvolkes geniessen, nachdem sie zuvor jahrhundertelang verfolgt wurden. Ich bewundere ihre Standfestigkeit und die ungebrochene Ausstrahlung ihrer monotheistischen Buchreligion.

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Aus eigenem Erleben möchte der Referent (Helmut Schatz)  auch einen Bezug der Sikhs zur Diabetologie bringen. Im Jahre 1976 nahm ich am 9. Kongress der Internationalen Diabetes-Föderation (IDF) in Neu-Delhi teil mit Professor Jasbir Sing Bajaj als Tagungspräsidenten. Er war ein Sikh, dessen Turban mit den sorgsam  darunter gekämmten Haaren mich beeindruckte. Damals waren es viel mehr Haare als auf seinem Bild aus späterer Zeit (s.u.), die er unter den Turban kämmte,  auch die seines Oberlippenbartes. Es war in der Zeit, als die Soldaten der Deutschen Bundeswehr gemäß einem Erlass des Bundesverteidigungsministers Helmut Schmidt im Dienst ein Haarnetz  zu tragen hatten, auch unter dem Stahlhelm.


(Foto: IDF-Sekretariat)

Professor Bajaj wurde später IDF-Präsident.  Er verstarb er in diesem Jahr (2019) im Alter von 83 Jahren.

Nach dem IDF-Kongress in Delhi fuhren etliche der Teilnehmer, so auch der den Älteren gewiss noch bekannte Professor Grodsky, welcher die Insulinsekretionsmuster erforscht hatte, nach Amritsar im Punjab, vor allem um den heiligsten Gurdwara der der Sikhs, den „Goldenen  Tempel“ zu sehen.

(Foto: Prof. Grodsky)

Anläßlich einer Gastprofessur in Indien besuchte ich ein Jahrzehnt später in Delhi auch den dortigen Gurdwara, wo  ich so wie Klaus Ehrenberger ein Stück  Brot erhielt.

Im Christentum wird in orthodoxen Kirchen in gleicher Weise geweihtes, ganz normales  Graubrot gereicht. In einer Kirchenburg im Kreis Hermannstadt/Sibiu  in Siebenbürgen sah ich links vor der Ikonostase eine Schüssel mit  den geweihten Brotstückchen (Bild).  Jeder Besucher einer Kirche kann  dort, auch ausserhalb von Gottesdiensten, „wenn er reinen Herzens ist“, ein Stück andächtig zu sich nehmen und eine Zeit in stillem Gebet verharren.

(Foto: privat)

Während der kommenden Christmetten erhalten die Gläubigen bei uns zur Kommunion bzw.  zum Abendmahl ebenfalls geweihtes Brot in Form der Hostie. Wie gleichen sich doch die Religionen der Welt in ihren Riten!

Ein Frohes Weihnachtsfest 2019!

Klaus Ehrenberger, Wien
Helmut Schatz, Bochum

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