Medizinische Kurznachrichten der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie
(Prof. Helmut Schatz, Bochum)

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Statin-Nebenwirkungen einschließlich Muskelschmerzen sind häufig Nocebo-Effekte


Bochum, 16. Januar 2021:

Auf dem Wissenschaftlichen Kongress der American Heart Association, zeitgleich publiziert im New England Journal of Medicine (1),  präsentierten am 15. November 2020 James Howard und  Kollegen vom Imperial College of London die Resultate der SAMSON- Studie: Diese zeigte, dass nur ein kleinerer Teil der von Patienten angegebenen Statin-Nebenwirkungen, auch die Muskelbeschwerden durch Statine bedingt ist, der deutlich größere Teil hingegen durch die pure Tabletteneinnahme als Nocebo-Effekt.

Methodik

Sechzig Patienten, die zuvor die Einnahme eines Statins wegen unerwünschter Nebenwirkungen abgebrochen und beendet hatten, wurden randomisiert in einem „n-of-1 trial“ untersucht; in dieser eleganten „N=1-Studie“  diente jeder Patient als seine eigene Kontrolle. Die  Studie dauerte 12 Monate (11 beendeten sie nicht) und jeder Patient erhielt verblindet 12 gleich aussehende Medikamentenpackungen von dreierlei Art: Eine enthielt keine Tabletten, die zweite ein Plazebo und die dritte 20 mg Atorvastatin. Die Patienten waren gehalten, die Packungen in dem vorgegebenen, zufallsverteilten monatlichem Wechsel zu verwenden und die Intensität der Symptome von 1-100 über eine Smartphone-App zu registrieren. Die Studieärzte wußten nicht, welche Schachtel jeweils eingesetzt worden war.

Ergebnis

Die individuellen Werte des mittleren Symptomen-Scores (Ordinate) der einzelnen, nummerierten Patienten (Abszisse) zeigt die Abbildung (s.u., aus Lit. 1). Man erkennt den oft hohen Symptomen-Score von Patienten unter Plazebo (weißer Punkt: keine Tabletten, blau Plazebo, rot Statin).

Das von den Autoren präsentierte Endergebnis der SAMSON-Studie stellt die sekundäre Auswertung der gepoolten Mittelwerte dar: Die mittlere Symptomintensität lag ohne Tabletten bei 8,0 (95% CI 4,7-11,3) unter Plazebo bei 15,4 (95% CI 12,1-18,7) und unter Statintherapie bei 16,3 (95% CI 13,0-19,6).

Kommentar

Ein Vorgehen nach der Methodik der SAMSON-Studie, in der jeder Patient als seine eigene Kontrolle dient, könnte prinzipiell von jedem Arzt, theoretisch sogar in der Praxis durchgeführt werden: Ein „Statin-intoleranter“ Patient würde dann – mit seiner Einwilligung – drei gleich aussehende Schächtelchen wie oben beschrieben ausgehändigt bekommen,  die er abwechselnd jeweils für 1 Monat  über ein Jahr verwenden sollte. Seine Beschwerden nach einer Symptomen-Scala hätte er  aufzuschreiben  sowie zu vermerken, wann er Schachtel 1, 2 oder 3 verwendet hätte. Die Autoren betonen, dass die Patienten unter Statin-Therapie sehr wohl und glaubhaft Beschwerden bekommen können, dass aber der größere Teil von der Tatsache herrührt, dass sie Tabletten einnehmen. Nur ein kleinerer Teil sei tatsächlich eine unerwünschte Nebenwirkung des Medikaments

Eine Limitation der SAMSON-Studie besteht allerdings in der Auswahl der 60 Patienten: Zu den zahlreichen Studienausschlusskriterien zählten Muskelschmerzen mit Anstieg der Serum-Kreatinkinase, neben Transaminasenanstiegen über das dreifache der oberen Grenze des Referenzbereichs  u.a. (1). Myopathien werden unter  Statinen im Vergleich zu Plazebo somit in der Real World  häufiger auftreten als bei den Patienten in den Monatsperioden des Jahres, in denen sie Atorvastatin eingenommen hatten.

In einer an den Vortrag anschließenden Diskussion warnte James Howard in Bezug auf das Vorgehen bei Patienten, die Beschwerden unter einem Statin angeben: “Changing them to another statin is a very reasonable thing to do, but as soon as you start trying people on lower doses and working up, you´re sort of telling them that you´are expecting at some dose that they are going to get side effects” (2). Im Patientengespräch sollte SAMSON hilfreich sein, den Patienten den großen Einfluss des Nocebo-Effektes zu erklären.

Dies wurde beispielsweise aus einer Untersuchung über Betablocker beobachtet: Italienische Autoren verordneten drei Gruppen von Männern Atenolol. Die erste erhielt keinerlei Informationen, die zweite wurde zwar über das Medikament aufgeklärt, jedoch nicht über Nebenwirkungen, und der dritten Gruppe teilte man mit, dass möglicherweise eine erektile Dysfunktion auftreten könne. Die Raten an erektiler Dysfunktion in Gruppe 1, 2 und 3 waren 3%, 15% bzw. 31% (3).

Auch im DGE-Blog wurde am16. Februar 2015 über die große Bedeutung des Nocebo-Effektes bei den medizinischen Konsultationen berichtet (4).

Helmut Schatz

Literatur

(1) Frances A. Wood, James P. Howard et al.: N-of-1 Trial of a Statin, Placebo, or No Treatment to Assess Side Effects.
N Engl J Med 26 November 2020. 383:2182-2184

(2) James P. Howard in: Steve Stiles: SAMSON Pins Most Muscle Pain Experienced With Statins on the Nocebo Effect.
https://www.medscape.com/viewarticle/941019?nlid=138285_540..

(3) Antonello Silvestri et al.: Report of erectile dysfunction after therapy with beta-blockers is related to patient knowledge of side effects and is reversed by placebo.
Eur Heart J; 2003. 24(21):1928-1932. https://doi.org/10.1016/j.ehj.2003.08.016

(4) Helmut Schatz: Der Nocebo-Effekt bei medizinischen Konsultationen: “Bad is more powerful than good”.
DGE-Blogbeitrag vom 16. Februar 2015

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