Medizinische Kurznachrichten der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie
(Prof. Helmut Schatz, Bochum)

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Struma nodosa und Calcitonin-Screening


ENDOKRINOLOGISCHES DISKUSSIONSFORUM

Bochum, 1. Februar 2016:

Anlässlich einer intensiven Diskussion bzgl. erhöhter Calcitonin-Serum-Spiegel im Rahmen der 21. Jahrestagung der Nordrhein-Westfälischen Gesellschaft für Endokrinologie am 29./30.1.2016 in Essen soll anhand des folgenden Falles aus der täglichen Praxis das diagnostische Vorgehen erörtert werden.

Fallbericht (Prof. B. Herrmann, Bochum)

Es stellt sich eine 43-jährige Patientin mit dem Zufallsbefund eines solitären, 11mm großen echoärmeren Schilddrüsenknotens (ohne Mikrokalk, gering vaskularisiert) in einer 16ml großen Schilddrüse vor. Es wird keine Heiserkeit, keine Temperaturintoleranz und ein normales Stuhlverhalten angegeben. Es sind keine Schilddrüsenerkrankungen familiär bekannt. Die Patientin nimmt keine Medikamente ein. Bei euthyreoter Stoffwechsellage (TSH 1,6 mU/l) liegt der Calcitoninspiegel im Serum bei 18 pg/ml (Immulite 2000, Siemens GmbH), bei Kontrolle bei 19 pg/ml (Referenzbereich des Labors: bis 10 pg/ml) .

Was ist zu tun?

Pentagastrin ist nicht mehr verfügbar. Alternativ steht der Calciumstimulationstest zur Verfügung.

  • Wer führt einen Calciumstimulationstest durch?
  • Wer evaluiert seine eigenen Daten des Calciumstimulationstest?
  • Welchen Cut-off für den Calciumstimulationstest geben Sie an und ziehen hieraus eine Konsequenz zu einer Feinnadelpunktion oder einer histologischen Abklärung?
  • Würden Sie das Calcitonin im punktierten Gewebe messen oder aber das immunzytologische Ergebnis auf Calcitonin anfordern?
  • Wer hat Rhythmusstörungen unter dem Calciumstimulationstest beobachtet?
  • Führen Sie prinzipiell und primär eine Schilddrüsenszintigraphie mit Technetium oder aber mit MIBI durch?
  • Machen Sie das weitere Vorgehen erst von einem evtl. kühlen Knoten abhängig?
  • Messen Sie Procalcitonin?

Im Gegensatz zum Calciumstimulationstest liegen gut evaluierte Daten zum Cut-off von Pentagastrin-stimuliertem Calcitonin (>100 pg/ml) vor. Die Calcitoninstimulation unter Calcium ist sehr heterogen und zeigt geschlechts-spezifische Unterschiede. In einer Studie (Colombo et al., JCEM 2012) wurde ein basaler cutt-off für Calcitonin von 18.7 pg/ml bei Frauen und 68 pg/ml bei Männern angeben. Nach Stimulation mit Calciumgluconat 10% wurde nach 1, 2 und 5 min ein cut-off von 184 pg/ml bei Frauen und 1620 pg/ml bei Männern angegeben.

Prof. Burkhard Herrmann, Bochum
www.endo-bochum.de

Literatur

Colombo C1, Verga U, Mian C, Ferrero S, Perrino M, Vicentini L, Dazzi D, Opocher G, Pelizzo MR, Beck-Peccoz P, Fugazzola L. Comparison of calcium and pentagastrin tests for the diagnosis and follow-up of medullary thyroid cancer.
J Clin Endocrinol Metab. 2012 Mar;97(3):905-13

Elisei R, Bottici V, Luchetti F, Di Coscio G, Romei C, Grasso L, Miccoli P, Iacconi P, Basolo F, Pinchera A & Pacini F. Impact of routine measurement of serum calcitonin on the diagnosis and outcome of medullary thyroid cancer: experience in 10,864 patients with nodular thyroid disorders.
J Clin Endocrinol Metab 2004 89 163-168.

Herrmann BL, Schmid KW, Goerges R, Kemen M, Mann K. Calcitonin screening and pentagastrin testing: predictive value for the diagnosis of medullary carcinoma in nodular thyroid disease.
Eur J Endocrinol. 2010 Jun;162(6):1141-5

Machens A, Dralle H. Biomarker-based risk stratification for previously untreated medullary thyroid cancer.
J Clin Endocrinol Metab. 2010 Jun;95(6):2655-63

Machens A, Lorenz K, Dralle H. Utility of serum procalcitonin for screening and risk stratification of medullary thyroid cancer.
J Clin Endocrinol Metab. 2014 Aug;99(8):2986-94

Karges W, Dralle H, Raue F, Mann K, Reiners C, Grussendorf M, Hufner M, Niederle B & Brabant G. Calcitonin measurement to detect medullary thyroid carcinoma in nodular goiter: German evidence-based consensus recommendation.
Exp Clin Endocrinol Diabetes 2004 112 52-58.

Kaserer K, Scheuba C, Neuhold N, Weinhausel A, Vierhapper H & Niederle B. Recommendations for reporting C cell pathology of the thyroid.
Wien Klin Wochenschr 2002 114 274-278.

Rink T, Truong PN, Schroth HJ, Diener J, Zimny M & Grunwald F. Calculation and validation of a plasma calcitonin limit for early detection of medullary thyroid carcinoma in nodular thyroid disease.
Thyroid 2009 19 327-332.

Vierhapper H, Niederle B, Bieglmayer C, Kaserer K & Baumgartner-Parzer S. Early diagnosis and curative therapy of medullary thyroid carcinoma by routine measurement of serum calcitonin in patients with thyroid disorders.
Thyroid 2005 15 1267-1272.

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Publiziert am von Prof. Burkhard Herrmann
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4 Antworten auf Struma nodosa und Calcitonin-Screening

  1. Vielen Dank für die Eröffnung dieser Diskussion! Das ist ein wichtiges und nicht einfaches Thema.

    Seit Pentagastin nicht mehr erhältlich ist, führen wir bei grenzwertigen Calcitoninspiegeln (über der geschlechtsspezifischen Obergrenze des Referenzintervalls und 100 pg/ml) einen Stimulationstest mit Calciumglukonat durch. Wir verfolgen die Ergebnisse nach, und bisher sind unsere Erfahrungen, auch mit verschiedenen Cut-Off-Werten, nicht sehr gut, da sowohl die Sensitivität als auch die Spezifität des Calciumglukonattests zu wünschen übrig lassen. Wir hatten schon Patienten mit nur geringfügigem Anstieg unter Stimulation und dann doch Nachweis eines medullären Schilddrüsenkarzinoms in der OP und umgekehrt auch falsch positive Ergebnisse mit Anstieg über 100 pg/ml.

    Bei auch nur grenzwertig erhöhtem Calcitoninspiegel nehmen wir von einer Punktion Abstand, um die Verschleppung von Tumorzellen zu vermeiden. Bei follikulären oder papillären Schilddrüsenkarzinomen wäre das kein Problem, da die verschleppten Mikrometastasen durch die nachfolgende Radiojodtherapie zerstört werden, aber bei C-Zellen kann man darauf natürlich nicht vertrauen.

    In letzter Zeit gehen wir immer mehr dazu über, allen Patienten mit sonographisch malignitätsverdächtigen Knoten (ab TIRADS 4c oder Perfusionstyp 4 bzw. 3 bei kalten Knoten) eine OP zu empfehlen.

    Immerhin hatten wir noch nie Rhythmusstörungen oder andere Komplikationen im Calciumglukonattest beobachtet. Die Daten zu Procalcitonin sind meines Erachtens noch zu dürftig. Zumindest das Spezifitätsproblem scheint durch eine alternative Procalcitoninbestimmung nicht besser zu werden, da dann auch noch bakterielle Infektionen als Differentialdiagnosen dazukommen.

  2. Frau P. (ehemals Seniorin) sagt:

    Sehr geehrte Damen und Herren,

    leider finde ich keinen Beitrag, der mir für meine Frage passend scheint (Schlagworte Osteoporose, Schilddrüse, Calcitonin), bitte entschuldigen Sie daher den nicht ganz so passend gewählten Ort:

    Wenn keine Schilddrüse mehr vorhanden ist (OP oder vollständige Zerstörung durch Autoimmunprozess), welche Rolle spielt das nun fehlende Calcitonin (welches ja zum größten Teil durch die C-Zellen der Schilddrüse produziert wird/wurde) bei der Entstehung einer Osteoporose? Gibt es hierzu Erkenntnisse/Studien?

    Vielen Dank

  3. Helmut Schatz sagt:

    Calcitonin „schleppt der Mensch noch mit sich noch herum“ aus der Evolution, wo es die Vögel besonders für die tägliche Eierschalenbildung benötigten (flapsig ausgedrückt). Doch Spaß beiseite: Der Mensch braucht es eigentlich nach derzeitigen Kenntnisstand nicht. Es wird übrigens nicht nur in den C-Zellen, sondern auch in den Nebenschilddrüsen und dem Thymus in geringeren Mengen gebildt.: Es bremst den Knochenabbau. Bei der Osteoporose hat man es eine Zeit lang zur Therapie verwendet. Seit es die Bisphosphonate gibt, wird es dafür nicht mehr verwendet. Indikationen sind der Morbus Paget oder auch eine tumlorbedingte Hyperkalzämie. Es soll nur kurz eingesetzt werden, da es Krebse hervorrufen kann. Beim C-Zell-Karzinom spielt es eine Rolle als Tumormarker.

  4. Im Säugerorganismus hat Calcitonin zwei Aufgaben: Zum einen verhindert es einen kurzfristigen postprandialen Anstieg der Calciumkonzentration und leitet das Calcium direkt in den Knochenstoffwechsel um (daher z. B. die Stimulation der Calcitoninsekretion durch Gastrin), und zum anderen unterstützt es den Calciumhaushalt in speziellen Situationen, z. B. in Schwangerschaft und Stillzeit (deshalb der höhere Referenzbereich in diesen Lebensphasen).

    Trächtige und säugende Mäuse entwickeln eine Osteoporose, wenn ihnen die Schilddrüse und damit das Calcitonin fehlen. Ob das beim Menschen auch so ist, ist unbekannt, aber zumindest denkbar.

    Mittel- und langfristig spielt das Calcitonin freilich keine Rolle für den Calciumhaushalt. Das wird schon durch die schnelle Adaptation der Rezeptoren verhindert.

    Literatur

    1: Kovacs CS. Calcium and bone metabolism during pregnancy and lactation. J Mammary Gland Biol Neoplasia. 2005 Apr;10(2):105-18. PMID 16025218. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/16025218 https://doi.org/10.1007/s10911-005-5394-0

    2: Woodrow JP, Sharpe CJ, Fudge NJ, Hoff AO, Gagel RF, Kovacs CS. Calcitonin plays a critical role in regulating skeletal mineral metabolism during lactation. Endocrinology. 2006 Sep;147(9):4010-21. Epub 2006 May 4. PubMed PMID: 16675524. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/16675524 https://doi.org/10.1210/en.2005-1616

    3: Felsenfeld AJ, Levine BS. Calcitonin, the forgotten hormone: does it deserve to be forgotten? Clin Kidney J. 2015 Apr;8(2):180-7. doi: 10.1093/ckj/sfv011. PMID 25815174; PMCID PMC4370311. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/25815174 https://doi.org/10.1093/ckj/sfv011

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