Bochum, 23. September 2018
1. Sufonylharnstoffe
Die Klasse der Sulfonylharnstoffe zeigte in drei retrospektiven, Propensity-gematchten Studien an knapp 250 Millionen (!) Personen mit Typ-2-Diabetes, die bereits Metformin erhielten, im Vergleich zu Dipeptidypeptidase-4-Hemmern und Thiazolidindionen, alle als add-on-Medikamente, die gleiche Absenkung des HbA1c auf Werte von 7% oder weniger. Auch zwischen den beiden anderen Medikamenten bestand kein Unterschied (1). Wohl aber waren in einer Metaanalyse unter Sulfonylharnstoffen folgende Hazard Ratios gering erhöht: für Myokardinfarkt (1.12; 95%CI, 1.02-1.24) und für Augenbeteiligung (1.15; 95%CI 1.11-1.19). Für eine Verminderung von Nierenerkrankungen hingegen bestand kein Unterschied zwischen den Antidiabetika.
Kommentar
Dieser Beitrag imponiert durch die riesige Zahl von Patienten. Freilich fragt man sich da, inwieweit die Charakteristika der Diabetespatienten in den drei überprüften Ländern USA, Frankreich und Südkorea in wohl nicht den gleichen Zeitperioden mit unterschiedlich verfügbaren Medikamenten und differierenden Leitlinien berücksichtigt werden konnten, das heißt ob die festgestellten Unterschiede allein kausal auf die Antidiabetika zurückzuführen sind. Ein „kardiotoxisches“ Potenzial der Sulfonylharnstoffe wird schon seit Jahrzehnten kontrovers diskutiert, beginnend mit der UGDP-Studie (2). Auf dem Europäischen Diabeteskongress 2017 in Lissabon vorgetragen, wurde in der TOSCA.IT-Studie kein Beweis für eine solche Aktion gefunden (3).
2. Orales Insulin
In den Proceedings der National Academy of Sciences, USA (4) erschien ein Bericht über ein Verfahren der oralen Insulinapplikation zur Stoffwechselverbesserung (nicht zur Immunintervention, siehe 5). Es wurde eine ionische Flüssigkeit mit Cholin und Geranat (CAGE) zur galenischen Insulinaufbereitung verwendet, wodurch ein signifikant gesteigerter parazellulärer Transport von Insulin bewirkt wurde, bei gleichzeitigem Schutz vor enzymatischem Abbau. Auch wurde durch CAGE die protektive Schleimhautschicht verdünnt. Bisher wurden die Versuche an Ratten vorgenommen, nach jejunaler Zufuhr und auch oral über eine Magensonde. Es wurden beträchtliche Blutzuckersenkungen beobachtet, bis zu 45 %. Die Insulinpräparation soll sehr stabil sein, für 2 Monate bei Raumtemperatur und mindestens 4 Monate bei Kühlung. Man will dieses Verfahren auch für andere Substanzen entwickeln, welche zur Zeit injiziert werden müssen.
Kommentar
Der alte Wunschtraum eines oral zu gebenden Insulins besteht schon seit der Entdeckung dieses Hormons. Zahlreiche Verfahren wurden bereits entwickelt und auch am Menschen getestet. Ob die an Ratten erprobte „CAGE-Technik“ endlich zu einem Durchbruch führen wird, bleibt abzuwarten.
Helmut Schatz
Literatur
(1) Rohit Vashisht et al.: Association of hemoglobin A1c levels with use of sulfonylureas, dipeptidyl peptidase 4 inhibitors, and thiazolidinediones in patients with type 2 diabetes treated with metformin.
JAMA Network Open. 2018;1(4):e181755. doi:10.1001/jamanetworkopen.2018.1755
(2) T.B. Schwartz, C.L. Meinert: The UGDP controversy: thirty-four years of contentious ambiguity laid to rest.
Perspect Biol Med. 2004 Autumn;47(4):564-74.
(3) Helmut Schatz: Kein kardiovaskuläres Sicherheitssignal in TOSCA.IT-Studie mit Sulfonylharnstoffen und Pioglitazon.
DGE-Blogbeitrag vom 18. September 2017
(4) A. Banerjee et al.: Ionic liquids for oral insulin delivery.
Proc. Natl. Acad. Sci.U.S.A. 2018 Jul 10; 115(28):7296-7301. doi:10.173/pnas.1722338115.
(5) Helmut Schatz: Orale Insulingabe an Kinder zur Diabetes-Verhütung bei Verwandten von Typ-1-Diabetespatienten wirkungslos.
DGE-Blogbeitrag vom 25. November 2017
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„Do sulphonylureas still have a place in clinical practice?“ Unter diesem Titel erschien in THE LANCET – Diabetes & Endocrinology am 28. Februar 2018 eine sorgfältige Übersichtsarbeit mit 70 Literaturstellen. Darin wird auf die noch laufenden Studien CAROLINA (head-to-head Glimepirid vs. Linagliptin) und GRADE verwiesen. Es wird angeführt, dass die beiden großen RCT´s, UKPDS und ADVANCE, für Sulphonylharnstoffe mikrovaskuläre Vorteile, eine Verminderung des Auftretens oder der Verschlechterung von Nephropathie oder Retinopathie und keine gesteigerte Gesamtmortalität ergeben hätten. In der UKPDS-Folgeuntersuchung nach einem Jahrzehnt fand sich auch ein kardiovaskulärer Nutzen. Die Akten über die Sulphonylharnstoffe sind also keineswegs geschlossen. Das Lancet schreibt: „80% of people with diabetes live in low-t-middle income countries, so the effectiveness, affordability, and safety of sulpühonylureas are particularly important considerations when prescribing glucose-lowering therapy“.