Bochum, 1. Juli 2023
Auf dem Jahrestreffen der Internationalen Gesellschaft für Stammzellforschung vom 14.-17 Juni 2023 in Boston berichtete am 1. Kongresstag die polnisch-britische Professorin Magdalena Zernicka-Goetz von der University of Cambridge und dem California Institute of Technology in einem Plenarvortrag über Embryomodelle (human embryo-like models) durch Reprogrammierung von menschlichen embryonalen Stammzellen (1).
Solche theoretischen embryoähnlichen Modelle waren von der Wissenschaftlerin in Cambridge und auch einer Gruppe im Weizmann-Institut in Israel schon in Tierexperimenten aus Mäusestammzellen gewonnen worden, welche fast identisch mit natürlichen Mäuseembryonen waren. Sie hatten die Phasen der Morulation, Blastulation und Gastrulation durchlaufen, also auch die Keimblattbildung, welche bei vielzelligen Tieren und dem Menschen nach Aussage von Entwicklungsbiologen der „wichtigste Zeitpunkt im Leben“ ist. Danach beginnt bei den Mausmodellen jenseits von 14 Tagen nicht nur die Bildung des Gehirns und eines schlagenden Herzens, sondern auch von Primordialzellen, den Vorläuferzellen von Spermien und Eiern. Wurden diese Embryomodelle in die Gebärmutter von Mäuseweibchen implantiert stoppte jedoch die Weiterentwicklung zu lebenden Tieren. In China schuf man aus Stammzellen von Affen auch synthetische Embryos und implantierte sie in die Gebärmutter erwachsener Affen. Einige von ihnen zeigten erste Anzeichen einer Schwangerschaft, aber bei keinen der Tiere hielt dies länger als einige Tage an (2).
Nach der Rechtslage in Großbritannien (UK) und anderen Ländern ist es nicht erlaubt, natürliche menschliche Embryonen länger als 14 Tage zu kultivieren, den Zeitpunkt, zu dem die Nidation (Einnistung) in die Uterusschleimhaut erfolgt. Daher ist nach 14 Tagen der Schwangerschaft die Weiterentwicklung eines Embryos, insbesondere die genetische Anlage und Entstehung von Erkrankungen sowie die Ursache von (frühen) Aborten der Wissenschaft weitgehend verborgen. Die Forschungen aus Cambridge könnten es ermöglichen, diese Wissenslücken zumindest teilweise zu überwinden. Denn eine mehr als 14-tägige Kultivierung von synthetischen menschlichen Embryos, „integrated embryo models“ gestattet längere Studien. Rechtlich stellt dies zur Zeit noch eine rechtliche Grauzone dar. Das Einbringen in den Uterus ist bei Menschen nach wie vor nicht zulässig.
Robin Lovell-Badge, Direktor des Institutes für Stammzellbiologie und Genetik der Entwicklung am Francis-Crick-Institut in London sagte dazu: “The idea is that if you really model normal human embryonic development using stem cells, you can gain an awful lot of information about how we begin development, what can go wrong, without having to use early embryos for research” (2).
Kommentatoren wiesen darauf hin, dass hier die Wissenschaft das geltende Recht überholt. Lokalen Ethikkomittees fiele vielmehr nach ihrer Meinung die Entscheidung zu, ob bei einem Embryomodell nur bis zu 14-Tagen oder länger geforscht werden darf (2). Forschung an menschlichen Embryonen ist ethisch durchaus problematisch, in Deutschland ist sie grundsätzlich verboten.
Kommentar
Die Entwicklung von vorgeburtlichen Eingriffen in die Entstehung des Menschen schreitet in immer frühere Phasen zurück, jetzt bis zu den Stammzellen. Manche Journalisten bezeichnen ein dann entstehendes Wesen drastisch mit dem spätmittelalterlichen Ausdruck „Homunkulus“ (siehe Abbildungen). Im DGE-Blog wurde am 7. Februar 2020 über in UK bereits gestattete Kinder von drei Elternteilen berichtet, sowie über die Möglichkeit „Designer-Babys“ zu schaffen wie etwa 2018 in China mit dem Ziel, diese vor HIV zu schützen, was mit der Gen-Schere Crisp-Cas erfolgt war, aber entgegen der Rechtslage erfolgte und bestraft wurde. (3).
Helmut Schatz
Literatur
(1) Bailey A.T. Wheatherbee, Magdalena Zernicka-Goetz: Transgene directed induction of a stem cell-derived human embryo model.
Plenarvortrag am 14. Juni 2023 auf dem Annual Meeting of the International Society of Stem Cell Research. Boston, 14-17 June 2023.
DOI: https://doi.org/10.1101/2023.06.15.545082
(2) Hannah Devlin: Synthetic human embryos created in groundbraking advance.
The Guardian, Wednesday 14th June 2023
(3) Helmut Schatz: Künstliche Befruchtung / Assistierte Reproduktion: Ein Überblick und ein Ausblick bis zu Tier-Mensch-Hybriden.
DGE-Blogbeitrag vom 7. Februar 2020
.Die Gefahr der mißbräuchlichen Anwendung ist so groß, daß man generell die weitere Forschung auf diesem Gebiet verbieten sollte. Soweit es sich ausschließlich auf die Heilung von schweren Erkrankungen (Krebs, Alzheimer u.a.) bezieht, finde ich es großartig. Aber dies bleibt ein frommer Wunsch, da es Länder gibt, die diese Entwicklung auf ganz andere Ziele richten, die wir ethisch nicht mittragen können.
o.Univ.-Prof. Dr. med. Klaus Ehrenberger, Wien:
Vom Abstrakten zum Konkreten: was gemacht werden kann, wird gemacht!
Warum nicht auch „Homunkulus“ Experimente?
Die abstrakte Idee ist uralt (im Spätmittelalter versuchten es die Alchimisten), konkrete Zugangswege sind neu.
Ich bin allerdings überzeugt, dass die Natur in Jahrmillionen all diese Zugangswege bereits ausprobiert hat
(trial and error), bis sie endlich das „Rezept“ für die erfolgreiche Konstruktion einer reproduktionsfähigen Säugetierpopulation gefunden hatte.
Jeder Medizinstudent lernt im Anatomieunterricht, dass die Anordnung der motorischen und sensorischen Zentren im Gehirn vor und hinter dem Sulcus centralis von Ohr zu Ohr „Homunculus“ (=Menschlein) genannt wird: der „Homunculus“ hängt sozusagen oben mit den Unterschenkeln, unten sind die Zentren für den Kopf mit Zunge, Pharynx usw.
Im Dt. Ärzteblatt vom 10.7.2023 (Bd.120(27-28): A-1208 / B-1036,Gießelmann u. Richter-Kuhlmann) erschien ebenfalls ein Bericht: „Pluripotente Stammzellen: Erste humane Embryonenmodelle. Im Juni kündigte eine britische Tageszeitung „bahnbrechende Fortschritte“ bei der Erzeugung „künstlicher Embryonen“ an. Seitdem überschlagen sich die Publikationen. Eine Debatte über Preprints und eine längst überfällige Reform des Embryonenschutzgesetzes ist entfacht…Zwei Preprints zu frühen humanen Embryonenmodellen auf Basis pluripotenter Stammzellen (Israel, UK) haben im Juni für viel Aufmerksamkeit gesorgt…Zwei weitere Preprints aus China und den USA wurden auf dem Preprintserver bioRxiv hochgeladen. Sie alle wurden bereits bei Fachzeitschriften eingereicht..Die o.z. Studie von Zernicka-Goetz et al. ist schon online ahead of print publiziert: Nature 2023 Jun 27.DOI:10.1038/s41586-023-06368-y, eine 2. aus USA: Nature online ahead of print 2023 Jun 27.DOI:10.1038/s41586-023-06354-4
Mein erster Impuls auf die Nachricht von synthetischen menschlichen Embryonen aus Stammzellen war: „Das darf nicht gestattet werden“. Es ist ein Eingriff in die Natur, in die Religion, in unsere uralte Welt. Die Gefahr ist zu groß, sie zu anderen Zwecken zu gebrauchen. Die Vorstellung, menschliche Wesen zu erzeugen nur nach dem eigenen Vorstellungen wäre verwerflich, viele Risiken zu Missbrauch, Selbstüberschätzung und Aggression liegen nahe. Sollten jedoch durch die Forschung Krankheiten oder Missbildungen verhinderbar sein, muss dies gestattet, ja für gut befunden werden.Die Entscheidung ist somit außerordentlich schwierig. Die Idee, menschliche Wesen zu erschaffen gab es schon lange. Dr.Frankenstein versuchte es. In „Prometheus“, dem Gedicht von Goethe, fordert Prometheus:„Hier sitze ich, forme Menschen nach meinem Bilde, ein Geschlecht, das mir gleich sei zu leiden, weinen, genießen und zu freuen sich“. Das Problem wird immer sein, es nur zum Nutzen der Menschheit einzusetzen .
Die Bilder über den Homunkulus mit dem Ausmaß der Hirnregionen unterstreichen die große Bedeutung von Händen und Zunge für den Menschen. Danke, sehr eindrucksvoll!