Medizinische Kurznachrichten der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie
(Prof. Helmut Schatz, Bochum)

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Kombinationstherapie aus T4 und T3 bei Hypothyreose


Bochum, 13. Juni 2022:

Am 5. März 2021 wurde im DGE-Blog über die Forderung nach neuen Studien zur Kombinationstherapie aus T4 und T3 berichtet, und auch über die damals gestartete Europäische Umfrage THESIS (1).

Jetzt referierte Antonio C. Bianco von der University of Chicago über die Substitutionstherapie einer Hypothyreose auf der Jahrestagung der American Association of Clinical Endocrinologists (AACE) am 20. Mai 2022;  es wurde eingehend diskutiert (2). Er berichtete, dass 10-20 % aller Patienten auch dann noch Symptome hätten, wenn der TSH-Wert mit Levothyroxin (LT4) gut eingestellt sei, entsprechend den meisten Leitlinien. Bei Fortbestehen von Beschwerden sollten die Ärzte eine Kombinationstherapie mit T4 und zusätzlich einer kleinen Dosis Trijodthyronin (LT3) erwägen. Die üblichen Beschwerden bestünden aus Gewichtszunahme, Fatigue und brain fog („Gehirnnebel“, sodass man nicht mehr klar denken kann). Bianco mahnte aber, dass man vor Beginn einer solchen Therapie andere Ursachen/Co-Morbiditäten ausschließen müsse wie  Perimenopause/Postmenopause, Obesitias, Vitamin B12-Mange, Anämie oder auch Autoimmunerkrankungen.

Alex Tessnow von der University of Texas, der Moderator der Sitzung, stimmte Antonio C. Bianco voll zu. Es wies darauf hin, dass es zu diesem Thema viel zu wenig Daten gebe, zumal wenn man bedenkt, dass fast 20% aller Frauen über dem 65. Lebensjahr erhöhte TSH-Spiegel aufweisen. Levothyroxin sei in den USA das am häufigsten verschriebene Medikament, und von allen Studien zur Therapie einer Hypothyreose würden nur drei Versuchsreihen mehr als 100 Teilnehmern aufweisen.Viele Ärzte hätten unbegründete Angst vor T3 wegen möglicher kardialer Arrhythmien. Oft müsse man aber kleine T3-Dosen mehrmals am Tag nehmen, nicht nur 1x morgens auf nüchternen Magen. Zur Zeit laufen auch zwei Studien zu Slow-Release- Präparaten.

Bianco und Tessnow bemerkten beide, dass die meisten der vorliegenden Studien keinen generellen Nutzen einer Kombinationstherapie aus T4 und T3 gezeigt hätten, weil man alle hypothyreoten Patienten zusammen beurteilt hätte und nicht nur die, welchen auf eine Monotherapie mit T4 entweder asymptomatisch geblieben waren oder weiter Beschwerden gehabt hätten.  Man müsse auf diejenigen achten, die unter T4 allein weiter Beschwerden haben (s.o.). Diese würden deshalb  oft 5-10x den Arzt wechseln, ohne das ärztlicherseits eine Änderung in der Substitutionstherapie erfolge.

Als Bespiel für einen Wechsel von einer Mono- auf eine Kombinationstherapie wurde angegeben: Von 100 µT4/Tag auf 87.5 µg zurückgehen und 5 µg T3 dazugeben usw. Bei bereits bestehenden ernsterer kardialen Beschwerden und Verwendung bestimmter anderer Medikamente solle man dies aber vermeiden. Allerdings hätten Studien keinen Langzeiteffekt von LT3 auf das Outcome von kardialen Erkrankungen oder auf Knochenbrüche gezeigt. Dies sei aber bei Verwendung von Psychopharmaka der Fall gewesen.

Bianco schloss seinen Vortrag  im überfüllten Saal des Kongresses: „Given the new safety data, physicians should be more liberal with this form of therapy as they treat patients with residual symptoms.

Kommentar

Der Referent (H.S.), noch aus der Ära der Extrakte getrockneter Rinderschilddrüsen (Thyranon Organon) kommend, dann der synthetischen Schilddrüsenhormone und der Mischpräparate aus T4 mit hohem T3-Anteil (20 µg, Novothyral Merck), später etwas geringerem T3 (10 µg, Prothyrid Henning) behandelt seit Beginn des neuen Jahrhunderts bei Fortbestehen von Beschwerden unter T4-Monotherapie mit dem  Zusatz von kleinen T3-Dosen, wobei er das zu hoch dosierte Thybon 20 manchmal zu vierteln, zumindest aber zu halbieren empfiehlt, oder ½ Tablette Prothyrid mit einem Zusatz von etwa 25 µg T4 verschreibt. Man darf gespannt auf die Slow-Release-T3-Präparate und die Ergebnisse der anlaufenden Studien zur Kombinationstherapie der Hypothyreose warten.

Helmut Schatz

Literatur

(1) Helmut Schatz: Hypothyreose: Forderung nach neuen Studien zur Kombinationstherapie mit Thyroxin und Trijodthyronin versus Europäische THESIS-Umfrage zu diesem Thema.
DGE-Blogbeitrag vom 5. März 2021

(2) Miriam E. Tucker: Debate Continues on Combination Therapy for Hypothyroidism. Medscape – May 20, 2022

Publiziert am von Prof. Helmut Schatz
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7 Antworten auf Kombinationstherapie aus T4 und T3 bei Hypothyreose

  1. Das ist ein sehr wichtiger und überfälliger Beitrag.

    Endlich scheinen sich auch in der Thyreologie der USA Erkenntnisse durchzusetzen, die wir in Europa schon länger gewonnen haben. Eine zu pauschale Beurteilung dürfte einer der Gründe für die negativen Ergebnisse bisheriger Studien zur L-T3-Gabe bei „Syndrom T“ sein (neben Fehlern in der Dosierung und der Therapiemodalität).

    1. Wiersinga WM. Paradigm shifts in thyroid hormone replacement therapies for hypothyroidism. Nat Rev Endocrinol. 2014;10(3):164-174. doi:10.1038/nrendo.2013.258 https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/24419358/
    2. Hoermann R, Midgley JEM, Larisch R, Dietrich JW. Lessons from Randomised Clinical Trials for Triiodothyronine Treatment of Hypothyroidism: Have They Achieved Their Objectives? J Thyroid Res. 2018 Jul 16;2018:3239197. doi: 10.1155/2018/3239197. PMID: 30174821; PMCID: PMC6098896. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/30174821/

  2. Maja sagt:

    Sehr geehrter Dr. Dietrich,

    Welche Erkenntnisse? Sprechen Sie von den 99% der deutschen Ärzte, die ausschließlich nach TSH „behandeln“ und bei anhaltenden Beschwerden eine obligatorische Überweisung zum Psychiater ausstellen, da sie nicht mal die typischen Hypothyreosesymptome erkennen können? Bei einem erhöhten Cholesterinwert werden direkt Statine verschrieben. Bei Herzrhythmusstörungen Betablocker. Wen interessieren schon die Erkenntnisse in der Thyreologie? Welcher Arzt weiß überhaupt, was Dejodinasen sind und welche Aufgaben sie erfüllen? Welcher Arzt nutzt Ihr Programm, um die Dejodinasenaktivität zu berechnen, statt nur auf das TSH zu schielen.

    Wieviele Ärzte lesen Studien? Wieviele davon sind in der Lage, die Erkenntnisse praktisch anzuwenden? Ein Prozent? In der Weiterbildung wird immer noch empfohlen, die „Behandlung“ ausschließlich nach dem TSH-Wert auszurichten. Von einer Kombitherapie ganz zu schweigen, da „T3 schädlich ist“. Wo sind dann die…

  3. Johannes W. Dietrich sagt:

    @MAJA: Sie sollten in Ihrem Urteil vorsichtiger sein. Die TSH-basierte Therapie war lange lege artis. Sie geht auf das logarithmische Standardmodell der Schilddrüsenhomöostase zurück, das seinerseits seinen Ursprung in der Arbeit von Reichlin und Utiger aus dem Jahre 1967 hat [1]. Wichtig ist, dass man jetzt dazulernt und die neuen Erkenntnisse in die Praxis umsetzt [2]. Trivial ist das nicht.

    1. Reichlin S, Utiger RD. Regulation of the pituitary-thyroid axis in man: relationship of TSH concentration to concentration of free and total thyroxine in plasma. J Clin Endocrinol Metab. 1967;27(2):251-255. doi:10.1210/jcem-27-2-251. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/4163614/

    2. Midgley JEM, Toft AD, Larisch R, Dietrich JW, Hoermann R. Time for a reassessment of the treatment of hypothyroidism. BMC Endocr Disord. 2019;19(1):37. doi:10.1186/s12902-019-0365-4 https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/30999905/

  4. Rudolf Hoermann sagt:

    Eine Rückbesinnung auf echte Endokrinologie würde auch nicht schaden, was da heisst Regelkreise und Homöostase. Die Unterbrechung homöstatisscher Mechanismen führt nach Billman zur Krankheit (1). Nach unsrer Auffassung ist in den hypothalamischen-hypophysären-thyreoidalen Regelkreis auch das FT3 einzubeziehen, da es physiologischerweise der TSH-Kontrolle (in einem asymmetrischen Feedforward) unterliegt (2). Daraus wird erklärlich, warum klinische Parameter und Patientensymptome viel besser mit den Schilddrüsenhormonen selbst als dem TSH-Spiegel korrelieren, was eine umfangreiche Metaanalyse gezeigt hat (3).

    1. Billman Front Physiol. 2020;11:200. doi:10.3389/fphys.2020.00200
    2. Hoermann et al. Front Endocrinol. 2022;13:825107. doi:10.3389/f
    3. Fitzgerald et al. Thyroid. 2020;30:1695-1709. doi:10.1089/thy.2019.0535

  5. Maja sagt:

    @Dr. Dietrich: Ich bin überzeugt, bei meinem Urteil vorsichtig genug gewesen zu sein. Schließlich habe ich gar nicht geschrieben, daß 55 Jahre alte lege artis, gegen jegliche wissenschaftliche Erkenntnisse ausgesprochen resistent, nichts anderes, als ein Dogma ist. Evidenzbasierte Medizin existiert ausschließlich auf dem Papier, da TSH-basierte Therapie immer noch eine ganz konkrete Gefährdung der Patienten bedeutet und immer noch flächendeckend praktiziert wird.

    @Prof. Hörmann: Haben Sie nicht irgendwo geschrieben, daß eine Hypothyreose viel mehr, als die drei Laborwerte, ist? Haben Sie Ihre Meinung geändert? Wäre es nicht an der Zeit, den Ärzten beizubringen, daß die Werte nicht unbedingt die hormonelle Versorgung aller Organe darstellen? Nur-„Werte in der Norm gleich Euthyreose“ ist ein Mythos, der auf dem Fehlen der Kenntnisse des Wirkungsspektrums der SD-Hormone basiert. Das Lesen der Studien ist ja eine schwere Arbeit und wird nicht gesondert vergütet. Pech für die…

  6. Maja sagt:

    …Patienten.

  7. shelby sagt:

    Mit Verlaub, meiner Meinung nach wird d.Pferd von hinten aufgezäumt., HT auf 3 Werte zu reduzieren, halte ich für fragwürdig. Mag sein, dass die Studien auf Patienten anwendbar sind, die an einer akuten HT leiden. Auffällig ist jedoch d vermehrte Auftreten im Zusammenhang mit Autoimmunerkrankungen.“Stress“ wird nebenbei erwähnt. In jenen Fällen sollte bereits i.d. Anamnese genauestens Ursachenforschung betrieben u. versucht werden, d. „Agressor“ abzustellen, ansonsten bringt jegl. Substitution keine/bedingte Erfolge. Wesentlich ist doch die Kaskade der „Fehl“hormonausschüttung/Beeinträchtigung des Regelkreis, die durch eine auf Dauer unerträgl. Situation auftritt u mittels körperl. Symptomen angezeigt wird, NICHT erst mit d.Erkrankung perse. Demnach gilt es in 1.Linie den Auslöser abzuschalten VOR Substitutionsbeginn. Die Forschung> Einfluss psy. Faktoren a.d. Hormonausschüttung i.Z. mit Hypophyse + Amygdala! steckt in d.Kinderschuhen, Folsäure u. Vitamine B helfen unterstützend…

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