Testosterongabe bei Frauen: Männliches Hormon nur kurzfristig bei Frauen nach dem Wechsel mit vermindertem Geschlechtsverlangen – die Empfehlungen der Endocrine Society.
Und: „Lustpillen“ aus dem Internet für Frauen auch schon vor dem Wechsel, das „Viagra für die Frau“?
Bochum, 27. Januar 2015:
Nach den neuen Empfehlungen der Endocrine Society sollen weiterhin Testosteronspiegel bei gesunden Frauen nicht bestimmt sowie Testosteron oder Dehydroepiandrosteron bei Frauen nicht routinemäßig gegeben werden, auch nicht bei Nebenniereninsuffizienz. Evidenzbasierte Ausnahme: kurzfristige, hoch-physiologische Gabe von Testosteron bei postmenopausalen Frauen mit vermindertem Geschlechtsverlangen. Die endogenen Testosteronspiegel der Frau sagen aber eine Libidosteigerung auf Testosterongabe nicht vorher (1). Frauen unter Testosteron sind auf Hormonexzess zu überwachen.
Dieses Update der Endocrine Society unterscheidet sich somit von deren Stellungnahme 2006 nur darin, dass jetzt bei postmenopausalen Frauen mit Libidominderung Testosteron kurzfristig gegeben werden kann. Wegen mangelnder Daten und unzureichender Bestimmungsmethoden fordert die Task Force der Endocrine Society, sensitive und spezifische Assays für Testosteron und freies Testosteron zu entwickeln und den Verlauf und die Bedeutung von (freiem) Testosteron bei Frauen während der gesamten Lebenszeit zu bestimmen.
Kommentar
Nach dem Mann (2,3) kommt jetzt die Testosterongabe bei der Frau wieder unter die Lupe. Schon seit Jahrzehnten haben Endokrinologen in Deutschland bei Frauen mit primärer oder sekundärer Nebenniereninsuffizienz und verringerter Libido Androgene, meist Dehydroepiandrosteron gegeben. Früher war in Deutschland auch ein Testosteronpflaster (Intrinsia®) für Frauen nach Ovarektomie, also chirugisch induzierter Menopause auf dem Markt. In den USA wurde und wird Testosteron an Frauen mit verminderter Libido „with some ambivalence“ weiterhin gegeben, wie die Kommentatorin zur neuen Leitlinie der Endocrine Society schreibt, wobei sie offen läßt, wie weit bei ihren eigenen Patientinnen nach Testosterongabe ein Placeboeffekt mitspielt (4).
Im Deutschen Ärzteblatt vom 23. Januar 2015 führt Ottmar Leiß (5) in einem Artikel über die evidenzbasierte Medizin an, dass die Pharmaindustrie auf der Suche nach neuen Indikationen für ihre eingeführten Präparate immer neue Krankheitsbilder schaffe wie zum Beispiel die nachlassende weibliche Libido (female sexual arousal disorder), die dann mit Sildefanil (Viagra® u.a.) behandelt werden könnte.
In der Tat werden zwei Tablettenarten jetzt von der niederländischen Firma Emotional Brain (bis 2010 von Boehringer/Ingelheim) entwickelt, welche das weibliche Geschlechtsverlangen und -empfinden steigern sollen: Beide werden mit Testosteron – mit Pfefferminzgeschmack – überzogen. Diese sollen etwa 1 Stunde vor dem Geschlechtsverkehr eingenommen werden und sind noch vor dem Verschlucken abzulutschen. Das Testosteron im Überzug soll die Frauen für sexuelle Reize empfänglicher machen. Das Innere beider Tablettenarten enthält unterschiedliche, auch schon zugelassene Wirkstoffe: In der Tablette mit dem Namen Lybrido, gedacht für die generell lustlose Frau, findet sich Sildefanil (Viagra® u.a.), welches zu einer besseren Durchblutung der weiblichen Genitalien führen soll. Die andere Tablette, Lybridos, enthält Buspiron, das in Deutschland als Medikament bei Angststörungen auf dem Markt ist (Anxut®) und beim Geschlechtsverkehr gestresster, innerlich verkrampfter Frauen günstig wirken soll. Es beeinflusst den Serotoninstoffwechsel im Gehirn (6,7). Nach einer Pressemeldung vom 4. Februar 2014 erhielt die Firma Herstellerfirma Emotional Brain von der Europäischen Arzneimittelagentur EMA ein Empfehlungsschreiben für die Weiterentwicklung und auch Hinweise für das Design der anlaufenden Zulassungsstudien der Phase III (8). Sollten die Studienresultate akzeptiert werden, könnten die Präparate ab 2016 verfügbar sein. Heute Präparate der 1. Art mit einem Sildefanil-Kern schon im Internet als „Das Viagra für die Frau“ angeboten, unter drei verschiedenen Namen: Lybrido, Lovegra und Ladygra. Die Krankenkassen werden die Präparate gewiß als „Life style – Medikament ansehen und nicht erstatten.
Helmut Schatz
Literatur
(1) Margret E. Wieman et al.: Androgen Therapy in Women: A Reappraisal: An Endocrine Society Clinical Practice Guideline.
J Clin Endocrinol Metab 2014. 99(1):3489-3510
(2) Helmut Schatz: Testosteron jetzt auch auf der ‘Watch List’ der FDA.
DGE-Blogbeitrag vom 24. Juni 2014
(3) Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie: Altersbeschwerden nicht mit Hormondefizit verwechseln. Endokrinologen raten: Nur echten Testosteronmangel behandeln.
DGE-Pressemitteilung vom 19. August 2014
(4) Martha K. Richardson: Update on Endocrine Society Guidelines für Androgen Therapy in Women.
http://www.medscape.com/viewarticle/836622_2?nlid=74364_435
(5) Ottmar Leiß: Kein L´art pour l´art, sondern zum Nutzen der Patienten.
Dtsch. Ärztebl. 2015.112(4): A 130-132
(6) Julia Merlot: Pharma-Tests für Frauen-Lustpille: Testosteron mit Pfefferminzgeschmack.
Spiegel ONLINE Gesundheit, 29. August 2013.
http://www.spiegel.de/gesundheit/sex/lustpille-fuer-die-frau…
(7) Sybille Möckl: Leidenschaft aus dem Labor: Erregend und motivierend: Wie eine Sexpille die weibliche Lust entfachen soll.
Focus online vom 15. Januar 2014.
http://www.focus.de/gesundheit/ratgeber/sexualitaet/potenz/…
(8) Pressemitteilung von Emotional Brain, 4. Februar 2014: Wissenschaftliche Empfehlung der EMA für Lybrido und Lybrodos unterstützt Vorschläge des Unternehmens.
http://www.presseportal.de/pm/112285/2656108/…
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In einer kürzlich veröffentlichten Studie (John F. Randolph Jr et al., Masturbation Frequency and Sexual Function
Domains Are Associated With Serum Reproductive Hormone Levels Across the Menopausal Transition; J Clin Endocrinol Metab 100: 258–266, 2015 ) untersuchten die Autoren bei 3200 Frauen zwischen 42 und 52 Jahren den Zusammenhang zwischen Sexualhormonenkonzentrationen im Blut und der sexuellen Aktivität in dieser Lebensphase. Hierbei zeigt sich, dass die Plasma-Werte für Testosteron, aber nicht Östradiol, positiv mit sexuellen Phantasien, Erregbarkeit und Aktivität korrelieren. Der Zusammenhang war schwach ausgeprägt (Odds ratio 1.04-1.08 pro Standardabweichung Testosteron =40 ng/dl), aber statistisch signifikant. Diese Daten mögen wissenschaftlich interessant sein, haben aber klinisch wenig Bedeutung, da die maßgeblichen Dimensionen für Sexualität von Frauen und Männer in diesem Lebensabschnitt in einer erfüllenden Partnerschaft liegen dürfte.
Ist die Pille Lybridos bereits zu erhalten? Ich finde hierzu nichts im Internet oder kann man sie sich nur verschreiben lassen?