Medizinische Kurznachrichten der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie
(Prof. Helmut Schatz, Bochum)

Bitte beachten Sie den Haftungsausschluss für medizinische Themen.

Keine generelle Testung und Supplementierung von Vitamin D in der Allgemeinbevölkerung


Die aktuelle klinische Praxissleitlinie 2024 der Endocrine Society

ENDOKRINOLOGISCHES DISKUSSIONSFORUM

Bochum, 1. August 2024:

In der August-2024 – Ausgabe des JCEM erscheint  die neue (online  erschienen am 3. Juni 2024 )  klinische Praxisleitlinie der internationalen Endocrine Society über die Testung und Supplementierung von Vitamin D in der Allgemeinbevölkerung (1).  Insgesamt wird kein Nutzen darin gesehen. Nur bei bestimmten Konstellationen erachtet die Endocrine Society dies für sinnvoll.  Dies spezifiziert sie in 14  Punkten (s.u.) .

Seit Jahren wird über das  Thema „Vitamin-D“ in der Öffentlichkeit, auch bei uns in Deutschland, heftig diskutiert,  und im DGE-Blog in Kommentaren der Leser.  Auch über die online erschienene neue Leitlinie der Endocrine Society ist international schon eine Diskussion im Gange.

Die Leser unseres DGE-Blogs werden gebeten, in unserem Endokrinologischen Diskussionsforum ihre Meinung kundzutun.

 Indikation einer Vitamin D – Supplementierung bzw. einer Vitamin D-Messung nach der Endocrine Society 2024:

1. Kinder und Jugendliche von 1 bis 18 Jahren zur Rachitis-Vorbeugung und evtl. auch zur Prävention von Atemwegsinfekten. Für Säuglinge unter 1 Jahr ist dies in den pädiatrischen Leitlinien schon festgelegt. Dazu reichen nach den vorliegenden Studien 300 bis 2000 IE (7,5 bis 50 μg) Vitamin D pro Tag,  durchschnittlich täglich etwa 1200 IE (30 μg).

2. Für gesunde (nicht schwangere) Erwachsene < 50 Jahren wird von einer Supplementation von Vitamin D über die Referenzaufnahmemenge von 600 IE/d hinaus abgeraten.

3. Bei diesen sollte auch keine routinemäßige Bestimmung von 25(OH)D-Spiegeln im Blut erfolgen.

4. Zwischen 50 und 74 Jahren benötigen Erwachsene auch keine Supplementierung. Allerdings sollten die empfohlenen 600 IE/d von 50-70 Jährigen erreicht werden,  von 800 IE/d von  >70-Jährigen

5. Bei den 50 – 74-Jährigen sollte ebenfalls keine routinemäßige Vitamin-D – Bestimmung erfolgen, ausser es bestehen Indikationen wie z.B. eine Hypokalzämie.

6. Für alle > 75 Jährigen wird eine empirische Supplementation empfohlen, da man dadurch eine potenzielle Senkung der Mortalität gefunden hatte. Die tägliche Einnahme geringer Dosen sollte hier gegenüber der hochdosierten wöchentlichen oder monatlichen Zufuhr bevorzugt werden.

7. Eine routinemäßige Testung der Vitamin-D-Spiegel wird auch für die >75-Jährigen nicht empfohlen.

8. In der Schwangerschaft sollte immer routinemäßig Vitamin-D supplementiert werden, um Präeklampsien, intrauterine Mortalität, Frühgeburten und für das Gestationsalter zu kleine Kinder zu vermeiden

9. Eine routinemäßige Testung aller Schwangeren auf Vitamin-D-Mangel wird nicht empfohlen.

10. Hoch-Risiko-Patienten für Prädiabetes wird zusätzlich zur Lifestyle-Modifikation eine Vitamin-D-Supplementation empfohlen, um die Progression zu (manifestem) Diabetes zu verlangsamen.

11. Bei allen über 50-Jährigen, bei denen eine Indikation für eine Vitamin-D-Gabe besteht, sollte die tägliche Gabe geringer Dosen gegenüber der nichttäglichen Gabe höherer Dosen bevorzugt werden.

12. Bei gesunden Erwachsenen sollten generell keine Vitamin-D-Spiegel bestimmt werden.

13. Das gilt auch für Farbige (PoC`s , Persons of Colour)

14. und für Menschen mit Adipositas.

 

FACIT

Es wird keine routinemäßigen Vitamin-D-Bestimmungen empfohlen. Es sollten keine Vitamin-D-Testungen  durchgeführt werden, solange keine spezielle Indikation wie z.B. eine Hypokalzämie vorliegt. Mit ein Grund ist auch, dass keine optimalen Zielwerte für die Vitamin-D-Versorgung bekannt sind. Die definierten Grenzwerte für eine suffiziente, insuffiziente oder defiziente (=Mangel-) Versorgung wurden von der Endocrine Society aufgegeben. Sie befürwortet nicht mehr den Zielwert von 30 ng/ml (75 nmol/l) wie in der  Leitlinie von 2011.  25D – Spiegel zur DFefinition einer Vit.D-SDuffizient,  Insujffizienz und DefizienzVitamin

Kinder, Schwangere und Senioren über ab 75 J.  sollten immer Vitamin-Supplemente erhalten – gesunde Erwachsene nicht.

Da die Vitamin D-Dosen in den einbezogenen klinischen Studien erheblich variierten und Studienteilnehmer oft ihre eigenen Vitamin D-haltigen Nahrungsergänzungsmittel weiter einnehmen durften, bleibt die optimale Dosierung für eine empfohlene Substitution unklar.

Helmut Schatz, Bochum

Bitte um lebhafte Diskussion!

Literatur

(1) Marie B. Demay et al.: Vitamin D fort he Prevention of Disease: An Endocrine Society Clinical Practice Guideline.
New Engl. J. Med. 109(8) 1907-1947. https://doi.org/10.1210/clinem/dgae290. Published online 03 June 2024

Posted on by Prof. Helmut Schatz
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4 Responses to Keine generelle Testung und Supplementierung von Vitamin D in der Allgemeinbevölkerung

  1. Helmut Schatz says:

    Am 29. Juli 2024 erscheint in der deutschen Medscape-Ausgabe ein Bericht über Reaktionen insbesondere aus den USA auf die aktualisierte Empfehlung der neuen Leitlinien der US Preventive Services Tasc Force (USPSTF) und der Empfehlung der US Endocrine Society über Vitamin D, die oben besprochen wurde. Marylin Larkin: „Unsinn“, „Irrationale Empfehlung“: Neue US-Leitlinie zu Vitamin-D-Tests und Supplementen sorgt für viel Kritik bei Ärzten. (https://deutsch.medscape.com/artikelansicht/4913997_print)
    Unsere Leserschaft wird nochmals gebeten, sich auch aus unseren Regionen zu dieser neuen Empfehlung zu äussern.

  2. Werner says:

    es muss unterschieden werden zwischen politischen und medizinischen Zielsetzungen.

    Als Mediziner halte ich das Testen für sinnvoll, ob es die Aufgabe der Krankenversicherung ist dies zu bezahlen ist eine politische Frage.

  3. Werner says:

    in allen Kulturen dieser Welt – Kulturen gehören zur Welt, zu den Welten dieser Erde.
    werden Krankheiten von erwarteten Zuständen, wir nennen diese Zustände gesund, unterschieden.
    Und alle Kulturen kennen Heiler, wobei heil mit ganz übersetzt werden kann.

    Insofern kann die Frage gestellt werden, wessen Aufgabe es sein könnte, den äußerlich unauffälligen Organismus auf Mangel- oder Überernährung zu untersuchen ?

    Ohne Mediziner, die mit damit verbundenen Krankheiten vertraut sind, wird es nicht sinnvoll sein.

  4. Mailahn says:

    Ein Hinweis: Die Leitlinie enthält keine einzige „soll“ oder „sollte“ Empfehlung. Sie verwendet in Hinsicht auf die Empfehlungsstärke das zweistufiges Schema zur Graduierung von Empfehlungen (GRADE). Bei allen Empfehlungen handelt es sich um bedingte Empfehlungen, die mit „Wir schlagen vor“ formuliert werden. Im Methodik-Teil findet sich die Erklärung, was das bedeutet: Die Leitliniengruppe geht davon aus, dass die Vorteile die Nachteile überwiegen und die Mehrheit der Menschen das wollen würde – aber viele Menschen auch nicht. ÄrztInnen sollen mit ihren PatientInnen nach individueller Situation, Werten und Präferenzen entscheiden.

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