Medizinische Kurznachrichten der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie
(Prof. Helmut Schatz, Bochum)

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Überdiagnostik von Schilddrüsenkarzinomen


Bochum, 5. Dezember 2024:

In der November 2024 – Ausgabe von THE  LANCET – Diabetes & Endocrinology  erschien eine umfangreiche, sorgfältig recherchierte, populationsbasierte Studie der Diagnose und Mortalität von Schilddrüsenkarzinomen während  der letzten Jahrzehnte in 63 Ländern weltweit (1).

Ausgewertet wurden zwei Datenbasen:  1.) Für die jährliche Inzidenz von Schilddrüsenkrebs 1980-2017 die der International Agency for Research on Cancer (IARC) und 2.) für die jährlichen Mortalitätsraten von 1980-2022 die Daten der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Die Abbildung (aus Lit.1) zeigt die Ergebnisse für die Inzidenz (blau, durchgezogen) und die Mortalität (rot, strichliert) von Schilddrüsenkrebs bei Frauen (die Daten für Männern sind deutlich niedriger).

Man erkennt, dass trotz überall steigender Diagnose von Schilddrüsenkrebs die Mortalitätsdaten völlig unverändert sind. Bei der (Über)-Diagnostik stechen Südkorea, Zypern, China und die Türkei hervor. Es waren die papillären Schilddrüsenkarzinome, die 2013-2017 zu den starken Variationen in den Inzidenzraten  beitrugen.

Kommentar:

Cari M Kitahara verfasste zu der Arbeit von Li et al. (1) einen Comment (2) und Amanda Davis sagte gegenüber Medscape (3), dass die neue Arbeit von Li und Vaccarfella ein weiteres Argument dafür liefere, „sich Schilddrüsenknoten nur vorsichtig zu nähern, da die Gefahr einer Überdiagnose bestehe“. Papilläre Schilddrüsenkarzinome würden nur langsam wachsen und ein geringes Risiko für Fernmetastasen tragen. Man könne sie kontrollieren und abwartend beobachten und müsse keineswegs immer lobektomieren (3).

Schon vor Jahren gab es auf der Tagung unserer Sektion Schilddrüse 2018 in Essen unter Frau Professor Dagmar Führer eine lebhafte Diskussion, ob man kleine, zytologisch und histologisch karzinomatöse Knoten, die zufällig in der Schilddrüse entdeckt wurden, als „Krebs“ bezeichnen oder besser von „einer kleinen, papillären Läsion“ sprechen solle (siehe Abbildung der ATA unten und Lit. 4-5 im DGE-Blog). Im Anschluss fanden ein Pro- und Kontra- Vortrag über die zwei Vorgehensweisen bei kleinen, < 1 cm  großen papillären Läsionen statt: „Operieren oder kontrollierend abwarten ?“ Die Abstimmung danach unter den Sektionsmitgliedern ergab ein geteiltes Resultat (siehe Lit. 4).

Die American Thyroid Association (ATA) empfahl in ihren Leitlinien für papilläre Schilddrüsenkarzinome (siehe unten) in der Therapie eine De-Eskalation sogar für Knoten bis zu 4 cm.

Papillary thyroid cancer is the most common type, making up about 70% to 80% of all thyroid cancers. Papillary thyroid cancer can occur at any age. It tends to grow slowly and often spreads to lymph nodes in the neck. Papillary cancer has a generally excellent outlook, even if there is spread to the lymp nodes.

Betreffend ein Screening auf Schilddrüsenkarzinom bei asymptomatischen Personen klassifizierte die US Preventive Services Task Force (USPSTF) ein solches unter dem  Rating „D“: das bedeutet,  dass „moderate certainty“ bei asymptomatischen Menschen besteht, dass beim Screening auf Schilddrüsenkrebs „the harms outweigh the benefits“.

Dem Referenten (H.S.) sei schließlich noch eine Bemerkung erlaubt: Ähnlich wie beim papillären Schilddrüsenkarzinom verhält es sich bei anderen Tumoren endokriner oder von Hormonen abhängiger Organe: Ein großer Prozentsatz insbesondere älterer Menschen ist Träger eines kleinen Prolaktinoms oder eines Prostatakarzinoms, ohne dass diese es wissen. Wenn keine Symptome vorliegen, stellt sich auch hier die Frage:

„To screen or not to screen ?“

Ein Dauerbrenner in der Fachliteratur!

Helmut Schatz

Literatur

(1) Mengmeng Li et al.: Evolving epidemiological patterns of thyroid cancer and estimates of overdiagnosis in 2013-2017 in 63 countries worldwide: a population-based study.
LANCET Diabetes & Endocrinology, Nov. 2024; Vol.12, Issue 11, pp. 824-836

(2) Cari M Kitihara: The growing global burden of thyroid cancer overdiagnosis. Comment.
LANCET Diabetes & Endocrinology. Nov 2024. Vor 12, Issue 11 pp. 780-782.

(3) Darcy Lewis: ATA: Updates on Risk, Diagnosis, and Treatment of Thyroid Cancer.
Medscape Medical News > Conference News > ATA 2024. November 01, 2024. Presented October 31, 2024

(4) Helmut Schatz: Papilläres Mikrokarzinom der Schilddrüse: Operieren oder kontrollierend abwarten („active surveillance“)? Bericht über die Tagung 2018 der Sektion Schilddrüse der DGE
DGE-Blogbeitrag vom 1. Dezember 2018

(5) Helmut Schatz: Konservatives oder chirurgisches Vorgehen bei Schilddrüsenknoten? ENDOKRINOLOGISCHES DISKUSSIONSFORUM
DGE-Blogbeitrag vom 10. Mai 2022

Posted on by Prof. Helmut Schatz
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2 Responses to Überdiagnostik von Schilddrüsenkarzinomen

  1. goretzki says:

    Sehr wichtige neuerliche Darstellung:
    das bestätigt wieder unsere Darstellung auf der DGE Tagung 2016 in Düsseldorf (siehe Youtube), mit der wir damals erst viel Kritik geerntet hatten
    PEGoretzki

  2. Winterfeld says:

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