Bochum, 21. Juli 2015:
Eine Metaanalyse 13 prospektiver Kohortenstudien mit ~70 000 Teilnehmern aus den USA, Europa, Australien und Japan ergab eine erhöhte Rate von Knochenbrüchen bei latenter Hyperthyreose (normalen peripheren Schilddrüsenhormonwerten mit erniedrigtem Spiegel des thyreotropen Hormons TSH, ohne klinische Symptome). Die höchste Risikorate errechnete sich für Schenkelhalsbrüche (Hazard Ratio HR 1.52, 95%CI, 1.19-1.93). Mit latenter Hypothyreose (erhöhtem TSH bei normalen Schilddrüsenhormonwerten ) errechnete sich keine Assoziation (1).
Unter den 70 298 Teilnehmern lag bei 4092 (5.8%) eine subklinische Hypothyreose (TSH >/= 4.50-19.99 mU/l,) vor, bei 2219 (3.2%) eine subklinische Hyperthyreose (hier definiert als TSH <0.45 mU/l). Frakturen insgesamt während einer Beobachtungszeit von 762 401 Personen-Jahren: in 12 Studien Hüftfrakturen bei 2975 Teilnehmern (4.6%). Auch die anderen Frakturen wurden (in einer geringeren Zahl von Studien) registriert, so Wirbelkörperbrüche in 6 Beobachtungsserien bei 296 Teilnehmern (1.3%). Zahlen nach alters- und geschlechtsadjustierten Analysen für die subklinische Hyperthyreose vs. Euthyreose: Hüftfrakturen: HR 1.36 (146 Ereignisse bei 2082 Teilnehmern vs. 2534 bei 56 471), Steigerungsraten auch für andere Brüche, am ausgeprägtesten für Wirbelbrüche: HR 1.51 (17 Ereignisse bei 732 Personen vs. 255 bei 20 328). Mit sinkendem TSH nahm die Assoziation zu Kochenbrüchen zu. Das höchste Frakturrisiko fand sich bei Personen mit mit supprimiertem TSH (<0.1 mU/l). Hier betrug die HR etwa für Hüftfrakturen 1.61. Bei subklinischer Hypothyreose fand sich keine Assoziation zum Frakturrisiko.
Kommentar:
Im Jahre 2012 publizierte die „Thyroid Studies Collaboration“ (2), also dieselbe Gruppierung wie jetzt (1), eine Metaanalyse von >50 000 Personen mit latenter Hyperthyreose im Hinblick auf kardiovaskuläre Ereignisse und fand eine um 24 % erhöhte Gesamtsterblichkeit, um 20 % mehr Herzinfarkte und instabile Angina pectoris und um knapp 70 % mehr Vorhofflimmern mit erhöhtem Schlaganfallrisiko. Die DGE hat darüber in einer Pressemitteilung berichtet (3). Die jetzt präsentierten Daten derselben Forschergruppe unter der Senior-Autorenschaft von Nicolas Rodondi aus Bern zu Knochenbrüchen demonstrieren, dass eine Osteoporose nicht nur bei schon manifester Schilddrüsenüberfunktion gesteigert wird (vgl. auch 4), sondern Brüche schon bei latenter Hyperthyreose signifikant vermehrt auftreten. Dies unterstützt die Leitlinien der Amerikanischen Schilddrüsengesellschaft ATA und der Amerikanischen Assoziation klinischer Endokrinologen AACE (5), welche die Therapie einer latenten Hyperthyreose bei einem TSH von <0.1 mU/l und Menschen ab dem 65. Lebensjahr empfehlen (Recommendation No.65).
Die Autoren der neuen Studie betonen abschließend, dass jedoch Interventionsstudien nötig seien, um zu klären, ob eine Therapie dann tatsächlich das Knochenbruchrisiko senkt.
Helmut Schatz, Bochum
Vorstandsmitglied der DGE (assoz.)
Literatur
(1) M. R. Blum et al., for the Thyroid Studies Collaboration: Subclinical thyroid dysfunction and fracture risk: A meta-analysis
JAMA 2015. 313:2055-2065. doi:10.1001/jama.2015.5161
(2) T.H. Collet et al.: Subclinical hyperthyroidism and the risk of coronary heart disease and mortality.
Arch Intern Med 2012. doi:10.1001/archinternmed.2012.402
(3) Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie: Überfunktion der Schilddrüse erhöht Sterberisiko – Endokrinologen für frühe Therapie der Schilddrüse.
Pressemitteilung vom 15.5.2012
(4) B.I. Abrahamsen et al.: Low thyrotropin level and duration of suppression as a predictor of major osteoporotic fractures – the OPENTHYRO register cohort.
J Bone Miner Res 2014. 29:2040-2050
(5) American Thyroid Association and American Association of Clinical Endocrinologists: Hyperthyroidism and other causes of thyrotoxicosis, Management Guidelines: Subclinical hyperthyroidism. When to treat: Recommendation No. 65.
Thyroid 2011. 21:593-646. www.lieberpub.com/thy
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Passend dazu hat kürzlich eine weitere Studie demonstriert, dass FT4-Spiegel am oberen Rande des Referenzintervalls mit einem erhöhten Risiko für thromboembolische Ereignisse assoziiert sind [Debeij J, Dekkers OM, Asvold BO, Christiansen SC, Naess IA, Hammerstrom J, Rosendaal FR, Cannegieter SC. Increased levels of free thyroxine and risk of venous thrombosis in a large population-based prospective study. J Thromb Haemost. 2012 Aug;10(8):1539-46. doi: 10.1111/j.1538-7836.2012.04818.x. PMID 22703181.]
„Im Jahre 2012 publizierte die „Thyroid Studies Collaboration“ (2), also dieselbe Gruppierung wie jetzt (1), eine Metaanalyse von >50 000 Personen mit latenter Hyperthyreose im Hinblick auf kardiovaskuläre Ereignisse und fand eine um 24 % erhöhte Gesamtsterblichkeit, um 20 % mehr Herzinfarkte und instabile Angina pectoris und um knapp 70 % mehr Vorhofflimmern mit erhöhtem Schlaganfallrisiko. Die DGE hat darüber in einer Pressemitteilung berichtet (3).“
Die europäischen und ATA Leitlinien empfehlen auch keine Substitution bei einer latenten Hypothyreose bzw. bis zu einem TSH Wert von 10. Insbesondere auch weil es bei 40 % zu einer Übertherapie und es zu einer latenten Hyperthyreose kommt. Trotzdem werden unnötig Schilddrüsenpräparate verschrieben. Schilddrüsenhormone werden sogar auch bei einer euthyreoten Stoffwechsellage verschrieben. Ich denke die häufigste Ursache der latenten Hyperthyreose ist die Gabe der Schilddrüsenhormone.