Medizinische Kurznachrichten der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie
(Prof. Helmut Schatz, Bochum)

Bitte beachten Sie den Haftungsausschluss für medizinische Themen.

Der Unterschied der Lebenserwartung von Männern und Frauen nimmt ab


Bochum, 1. September 2023:

Jeder Mensch bei uns weiß aus seiner Erfahrung, dass heute Frauen im Durchschnitt länger leben als Männer; das Statistische Bundesamt meldet für 2020/2022 in Deutschland folgende Zahlen: 78.3 Jahre für Männer und 83.2 Jahre für Frauen (1). Für die Endokrinologie stellt sich die Frage, ob bzw. wie weit dabei die Hormone eine Rolle spielen sowie die Tatsache,  dass der Mann ein nur kurzes y-Chromosom anstelle eines zweiten x-Chromosoms wie die Frau besitzt.

In diesem Beitrag soll nur das Testosteron betrachtet werden: Viele Säugetiere leben nach Kastration länger als nichtkastrierte. Zu untersuchen ist, ob dies beim Menschen auch mit am Testosteron liegt. Langzeitstudien hatten gezeigt, dass die  Lebenserwartung von Männern mit dem Testosteronspiegel korreliert ist (2).  Ein  direkter oder indirekter kausaler Zusammenhang zwischen Lebenserwartung und Testosteronspiegel ist jedoch nicht zu  belegen.  Bei bis zu 30 % der Männer über 40 Jahren kann man einen Late-Onset Hypogonadismus finden, was mit einer kürzeren Lebenserwartung zusammenhängen könnte. In Korea hatten aber die Kastraten im 16. – 18. Jhdt. eine durchschnittlich 14 Jahre höhere Lebenserwartung als Nichtkastrierte (3); die Zahl von über 100-Jährigen war unter ihnen auch um ein Vielfaches höher als heute bei uns. Im Unterschied dazu fanden Eberhard Nieschlag et al., dass sich das Alter der früher bei uns nicht so seltenen kastrierten Sänger nicht wesentlich von dem ihrer  Sangesgenossen unterschied (4).

Andererseits wurde und wird bei uns  diskutiert, dass Männer ungesünder als Frauen leben und dass Testosteron die Lebensweise der Männer aggressiver und auch gefährlicher mache. Ein  schädlicher Einfluss von zugeführtem Testosteron auf das Herz wurde ebenfalls in jüngerer Zeit im DGE-Blog  – wenn auch kontrovers – diskutiert.

Die Zahlen des deutschen Bundesamtes für Statistik zeigen, dass die Lebenserwartung der Frauen seit Mitte des 20. Jhdts. schneller gestiegen ist als die der Männer, aber seit Ende  des Jahrhunderts sich wieder verlangsamt.  Es existieren erhebliche regionale Unterschiede, wie Forscher des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) in Wiesbaden feststellten. Sie untersuchten  die Todesursachen in 228 Regionen von sieben Ländern Europas. Mitte der 1990-er Jahre lag die männliche Lebenserwartung noch mehr als 7 Jahre hinter der von Frauen zurück, verringerte sich aber in den letzten Jahrzehnten auf weniger als 5.5 Jahre.  Besonders gering sind die heutigen die Differenzen  in Süddeutschland, Dänemark und der Schweiz (<4 Jahre); in Basel und Umgebung lag sie bei nur 3.3 Jahren, in München und Umgebung bei 3.5 Jahren. In Teilen Ostdeutschlands, in Tschechien, der Slowakei und Frankreich hingegen fand man Geschlechtsunterschiede von >6 Jahren, somit etwa doppelt so hohe. Zum Geschlechtsunterschied mag beitragen, daß sich Frauen oft besser um ihre Gesundheit kümmern und etwa bei Übergewicht eher Maßahmen ergreifen als viele Männer.

In der BiB-Studie beobachtete man auch,  dass in den gut entwickelten  Städten die Geschlechtsunterschiede nicht so hoch waren wie auf dem Land. Es wird somit angenommen, dass Städte eher aktive, gesunde Menschen anziehen als die, welche auf dem Lande leben und weniger aktiv sind, also dass die Unterschiede im Life Style sowie auch den Umweltbedingungen eine wichtige Rolle spielen (5,6).

Bei den Männern hat das Rauchen abgenommen,  während die durch Rauchen bedingte Sterblichkeit bei den Frauen weiter steigt;  bei ihnen hat stärkeres Rauchen seit den 1960-er Jahren zugenommen, was sich jetzt auswirken dürfte. Der Alkoholkonsum ging bei den Männern ebenfalls zurück. Und Frauen sind schon längere Zeit vermehrt in Berufen tätig, die ein höheres Sterblichkeitsrisiko als die reine Hausarbeit tragen.

Der Lebensstil und somit die Vorbeugung spielen also für die Lebensdauer eine größere Rolle als wie von Vielen bisher angenommen das Testosteron.

Testosteron kann auch als ein Biomarker  des Lebensstils und für Comorbiditäten dienen. Es ist bei Adipositas, Diabetes und vielen chronischen Erkrankungen erniedrigt, wie es nach Mitteilung an den Referenten (H.S.) von einem  in Deutschland führenden Endokrinologen  in seiner Praxis auch immer wieder beobachtet.

Die Testosteronspiegel unterliegen aber Schwankungen, abhängig von den Gonadotropinen. Dies ist bei einem konstitutiv sezernierten Peptidhormon aus dem Hoden nicht der Fall, dem  insulinähnlichen Peptid-3 (INSL3). Es ist, wie im DGE-Blogbeitrag vom 25. November 2022 berichtet (7), ein Maß für die  Anzahl und Funktion der Leydigzellen. Der in der Pubertät erreichte Blutspiegel bleibt im Erwachsenenalter in gleicher Höhe erhalten und nimmt erst im Alter ab, etwa um 15% pro Dekade. Er korreliert mit der Morbidität (siehe Lit. 7). Interessanterweise kann der INSL3-Spiegel  bei Männern schon in der Jugend um den Faktor 10 unterschiedlich sein. INSL3 ist ein guter Parameter zur Abschätzung des voraussichtlichen Lebensalters von Männern. INSL3 und Testosteron wurden in der European Male Aging Study (EMAS) bei 3000 Männern zwischen 40 und 79 Jahren, rekrutiert von 2003-2004 herangezogen (8). Richard Ivell von der Universität Nottingham will jetzt untersuchen, warum die INSL3-Spiegel zwischen den Männern so stark variieren (9). Es gibt Hinweise, dass die frühkindliche Ernährung eine Rolle spielt, aber auch andere Faktoren wie die Genetik und die Exposition gegenüber endokrinen Disruptoren in der Umgebung kommen in Betracht.

Helmut Schatz

Literatur

(1) Statistisches Bundesamt: Sterbefälle und Lebenserwartung.
https://www.destatis.de

(2) Ulrich John et al.: Study of Health in Pomerania (SHIP): a health examination survey in an east German region: subjectives and design.
Soz.Präventivmed.46 (2001) 186-194

(3) Kyung-Jin Min: The lifespan of Korean eunuchs.
Current Biology Sep 15, 2012. 22(18):PR792-R793

(4) Eberhard Nieschlag et al.: Lifespan and testosterone. 1993.
Nature 366: 215

(5) Sebastian Gollnow: Lebenserwartung von Frauen und Männern nähert sich an.
Deutsche Presseagentur. dp.de

(6) Markus Sauerberg et al.: Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB), Wiesbaden 2023

(7) Helmut Schatz: Insulin-like Peptide-3 (INSL3), ein konstitutives Peptidhormon aus den Leydig-Zellen zur Vorhersage eines Hypogonadismus und der altersbezogenen Morbidität.
DGE-Blogbeitrag vom 26. November 2022

(8) Richard Ivell et al.: The Leydig cell biomarker INSL3 as a predictor of age-related morbidity: Findings from the EMAS cohort.
Front. Endocrinol. 08. November 2022. https://doi.org/10.3389/fendo.2022.1016107

(9) Ivell R., Anand-Ivell R.:The biology of insulin-like factor 3 (INSL3) in human reproduction.
Reprod Update (2009) 15: 463-476. doi:10.1093/humupd/dmp011

Posted on by Prof. Helmut Schatz
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3 Responses to Der Unterschied der Lebenserwartung von Männern und Frauen nimmt ab

  1. Eberhard Windler says:

    Vielen Dank erneut für einen der vielen interessanten Blogs wie diesen zum Geschlechtsunterschied der Lebenserwartung! Vielleicht noch als interessante Ergänzung und Bestätigung des Diskutierten:
    Ursachen der Geschlechterdifferenz in der Lebenserwartung
    Erkenntnisse aus der «Klosterstudie»
    Marc Luy, Vienna Institute of Demography der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wittgenstein Centre for Demography and Global Human Capital, Wien

  2. Helmut Schatz says:

    Danke, lieber Eberhard, für den Hinweis auf die Klosterstudie von Marc Luy et al., die an vielen tausenden von Nonnen und Mönchen einen Unterschied zwischen weiblicher und männlicher Lebenserwartung von nur 1 bis 2 Jahren fand. Die Mönche lebten deutlich länger als Männer in der Allgemeinbevölkerung, bei den Frauen gab es nur einen geringen Unterschied. Dies zeigt schön auf, wie groß der Einfluss der- im Klosterleben gleichförmigen, geregelten und stressfreieren- Lebensbedingungen ist.

  3. Melanie Engbert says:

    Die Argumente für die frühere Sterblichkeit bei Männern ist gut nachvollziehbar; ich denke jedoch, dass auch die Berufstätigkeit eine Rolle spielt, und die hat sich ja im Laufe der Zeit geändert – es sind heutzutage mehr Frauen berufstätig , als es noch vor ca. 40 Jahren der Fall war. Dieser Aspekt müsste eigentlich in die Studie mit einfließen

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