Ulrike Schatz, Dresden
Dresden, 6. Oktober 2025:
Auf dem Jahreskongress der Europäischen Kardiologie – Gesellschaft in Madrid im August 2025 wurde von Prof Jeanine Roeters van Lennep aus Rotterdam, Priv. Doz. Konstantinos Koskinas aus Bern und Prof Francois Mach aus Genf ein UPDATE der Lipidleitlinien aus dem Jahr 2019 vorgestellt. Dies ist keine neue Leitlinie, sondern eine Aktualisierung, welche die wichtigsten 12 Studien/Metaanalysen seit 2019 berücksichtigt hat (1).
1. Zur Risikostratifizierung ersetzen SCORE 2 (für Personen von 40-69 J.) und SCORE-2 OP (70-89 J.) mit einer Abschätzung des 10-Jahres Risikos für für kardiovaskuläre Ereignisse den zuvor empfohlenen „SCORE“ (10 Jahres Risiko für kardiovaskulären Tod).
Es werden 5 Risikokategorien mit klaren LDL-C Zielwerten definiert, wobei besonders die Extremrisikogruppe hervorzuheben ist mit einem Ziel LDL-C < 1,0 mmol/l (<40 mg/dl). Hierzu zählen Patienten mit polyvaskulärer Erkrankung (z.B. koronarer Herzerkrankung (KHK) plus periphere arterielle Verschlusserkrankung, pAVK) oder mit kardiovaskulärem Progress trotz maximaler Statin-basierter Therapien.
Weiterhin werden Risikomodifikatoren definiert, welche bei Grenzwertsituation die höhere Risikoeinstufung rechtfertigen und bei dem Entscheid bzgl. medikamentöser Therapien helfen können:
– demographische Faktoren
– Biomarker (Lp(a) > 50 mg/dl (105 nmol/l) gilt als Risikoenhancer, hsCRP > 2 mg/l)
– Komorbiditäten (beachte z.B. psychiatrische Erkrankungen!)
2. Neues zur LDL-Cholesterin-Senkung
Statine, Ezetimib und PCKS9-Antikörper (Alirocumab = Praluent®, Evolocumab = Repatha®) waren bereits 2019 in der Leitlinie empfohlen. Nun wird Inclisiran (Leqvio®) (siRNA gegen PCSK9) als Alternative zu PCSK9-Antikörpern im Text beschrieben mit ca. 50% LDL-C-Senkung. Es laufen große kardiovaskuläre Endpunktstudien mit dieser siRNA, die jedoch zum Zeitpunkt der Publikation noch nicht abgeschlossen sind und daher nicht in die Empfehlungen einfließen konnten.
Neu hinzugekommen ist jedoch eine klare Leitlinienempfehlung für die Bempedoinsäure (Nilemdo®, hemmt die Cholesterinbiosynthese) als orale Substanz (bei Statinintoleranz Klasse I B Empfehlung aufgrund der CLEAR-OUTCOMES Studie). Bei kardiovaskulärer Hoch- und Höchstrisikokonstellation kann Bempedoinsäure zusätzlich zu Statinen in Erwägung gezogen werden (Empfehlungsgrad IIa C). Ezetimib, Bempedoinsäure und PCSK9-Inhibitoren können sowohl in Monotherapie als auch in Kombination mit dem Goldstandard der Statine gegeben werden, wenn das Ziel LDL-C trotz maximal verträglicher Statin-Dosis nicht erreicht werden kann.
Evinacumab (Evkeeza®) wird bei homozygoter Familiärer Hypercholesterinämie empfohlen (IIaB) ab 5 Jahren sofern trotz maximaler lipidsenkender Therapien die Zielwerte nicht erreicht werden
Sehr praxisrelevant ist die Darstellung der potentiellen LDL-C Absenkungsraten in Mono- und Kombinationstherapien mit den verschiedenen Lipidsenkern:

Abbildung aus (1):
2025 Focused Update of the 2019 ESC/EAS Guidelines for the management of dyslipidaemias
(European Heart Journal; doi: 10.1093/eurheartj/ehaf190)
Weiterhin wird nun eine Primärprävention bei zwei vulnerablen Patientengruppen mit Statinen empfohlen:
- HIV-Patienten ab dem 40. Lj., unabhängig vom LDL-C (Reprieve Studie, Empfehlungsgrad I B)
- Bei Patienten mit Karzinomen die Anthrazyklin-basierte Chemotherapien erhalten zum Schutz vor Kardiotoxizität (Klasse IIaB)
HIT HARD AND EARLY
Erstmalig ist klar niedergeschrieben, dass bei Patienten mit Z.n. akutem Koronarsyndrom (ACS) die frühzeitige Kombinationtherapie aus Statin plus Ezetimib empfohlen wird (u.a. SWEDEHEART Daten)
3. Erstmalig wird eine klare Klasse III B ausgesprochen, dass Nahrungsergänzungsmittel ohne dokumentierte LDL-C Reduktionen oder Sicherheit nicht zum kardiovaskulären Schutz verwendet werden sollen. Klasse III bedeutet „Evidence or general agreement that the given treatment is not useful and in some cases may be harmful“! Zugrunde liegen u.a. Ergebnisse des SPORT TRIAL (2)
4. Triglyceridreiche Lipoproteine gelten als ein unabhängiger Risikoindikator.
– Icosapentethyl (EPA, Vazkepa®, ) 2 x 2 g sollte aufgrund der REDUCE-IT Studie in Kombination mit einem Statin bei hohem und sehr hohem kardiovaskulärem Risiko und erhöhten Triglyceriden zur kardiovaskulären Risikoreduktion erwogen werden (Klasse IIaB Empfehlung). Aufgrund der STRENGTH Studie wird nicht die Kombination aus DHA und EPA empfohlen.
– Volanesorsen (Waylivra®, Antisense Oligonucleotid gegen Apo C III) sollte bei Patienten mit schwerer Hypertriglyceridämie (TG > 8,5 mmol/l, > 750 mg/dl) erwogen werden zur Reduktion des Pankreatitis Risikos (Klasse IIaB Empfehlung)
Kommentar:
Das Update ist praxisrelevant mit klaren Zielen, Integration neuer Wirkstoffe und der erstmaligen klaren Empfehlung einer frühen Kombinationstherapie bei Z.n. ACS, wie es in anderen Gebieten, etwa der Hypertensiologie schon lange etabliert ist.
Sehr zu begrüßen ist die klare Stellungnahme zu Nahrungsergänzungsmitteln, da erfahrungsgemäß Patienten sehr viel Geld für solche Substanzen ausgeben und die Bestellung im Internet gefährlich sein kann.
Die Lipidologie ist ein aktuell hochinnovatives Fach mit rasanter Entwicklung neuer Substanzen mit bekannten (PCSK9) und neuen Therapiezielen (z.B. ANGPTL3). Volanesorsen hat soeben eine Weiterentwicklung erfahren als Olezarsen bei FCS. Weiterhin werden erste Endpunktdaten zu den neuen Lp(a)-senkenden Ansätzen nächstes Jahr mit Spannung erwartet, sodass in die nächste neue Lipidleitlinie viele neue Studienergebnisse einfließen werden.
Ulrike Schatz, Dresden
Literatur
(1)2025 Focused Update of the 2019 ESC/EAS Guidelines for the management of dyslipidaemias. European Heart Journal, 2025; ehaf190
https://doi.org/10.1093/eurheartj/ehaf190
(2) JACC. 2023 Jan, 81 (1) 1–12.
https://doi.org/10.1016/j.jacc.2022.10.013
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