Bochum, 5. Februar 2024:
Nach erfolgreichen präklinischen Versuchen mit Retinsäure (Vitamin-A-Säure) zur Hemmung der Spermiogenese an Ratten, Hunden und nichtmenschlichen Primaten (Cynomolgus-Affen) läuft jetzt die Phase 1 der Studien bei gesunden jungen Männern als „Pille für den Mann“. Deren Abschluss ist im Juni 2024 geplant (1).
Durch YCT-529, einen oralen Wirkstoff der Firma YourChoiceTherapeutics (YCT, ein 2018 gegründetes start-up-Unternehmen in Berkeley, Chief Scientific Officer Dr. Nadja Mannowetz) wird der Retinsäure-Rezeptor-alpha im Hodengewebe blockiert. Die Sterilität setzt 2-4 Wochen nach Einnahmebeginn ein und war bei den Tierversuchen nach Absetzen von YCT-529 reversibel. Erste umfangreichere Ergebnisse mit YCT-529 wurden auf der 47. Jahreskonferenz der American Society of Andrology in La Jolla, Kalifornien im Mai 2022 vorgestellt (2). Bereits am 23. März 2022 hatten Gunda Georg et al. von der University of Minnesota ihre Resultate auf der Jahrestagung der American Chemical Society auf einem Poster präsentiert: YCT-529 hatte sich bei männlichen Mäusen zu 99% als effektiv erwiesen (3). YCT-129 bindet mit etwa fünfhunderfach höherer Affinität an den Retinsäure-Rezeptor (RAR)-Subtyp-alpha als an RAR-beta und RAR-gamma; das Nebenwirkungsprofil war sehr günstig.
Schon sehr lange ist bekannt, dass Vitamin-A für die Spermienbildung nötig ist (vgl. 4). Es wirkt über spezifische Rezeptoren, an welche der physiologische Metabolit all-trans-Retinsäure bindet (5). Bereits vor 4 Jahrzehnten fand man in Tierversuchen, dass durch eine Hemmung des unspezifischen Retinsäurerezeptors (RAR) durch niedrige Dosen des Pan-RAR-Inhibitors BMS eine reversible Infertilität ohne signifikante Toxizität erzielt werden konnte. Jetzt erfolgte die Weiterentwicklung zu einem RAR-alpha-selektiven Inhibitor, da dieser Rezeptor spezifisch im Hodengewebe exprimiert wird.
Ob bzw. wann YCT-529 als Pille für den Mann zugelassen und verfügbar sein wird ist offen. Gewiss nicht früher als in etlichen Jahren. Die Akzeptanz in unserer Bevölkerung ist auch abzuwarten: Eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Yougov ergab bei Frauen in 76% eine positive Einstellung, bei Männern in insgesamt 63% . Allerdings war der Prozentsatz der Männer, die sich eine Einnahme grundsätzlich vorstellen können, wesentlich geringer: mit „ja“ antworteten nur 37%, mit „vielleicht“ 27 %, während etwa jeder Fünfte (21%) die „Pille für den Mann“ nicht nehmen wollte (6).
Helmut Schatz
Literatur
(1) ClinicalTrials.gov-Kennung: NCT06094283
(2) Jennifer@engagementpr.com
(3) Gunda Georg et al.: A non-hormonal pill could soon expand men´s birth control options. Jahrestagung 2022 der American Chemical Society, Poster.
(4) U. von Rütte: Die Wirkung des Vitamin A auf die Spermiogenese. Gynaecologia 1953. 135(2):83-86
(5) https://www.pharmazeutische-zeitung.de
(6) dpa: Mehrheit befürwortet „Pille für den Mann“. Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ), 2. Februar 2024
Femina: Ich kann mir vorstellen,dass so ein Medikament für den
gesunden, kräftigen und selbstbewussten Mann eine schwierige Situation darstellt. Es braucht nicht nur die hundertprozentige Gewissheit des Umkehrens dieses (wenn auch oralen ) Eingriffs, sondern wenige Männer würden auf ihre Manneskraft verzichten, wenn nicht eine echte Notwendigkeit besteht. Dazu braucht es sicher Jahre. Die Frage ist auch, ob Frauen sich Männer wünschen, die einen Teil ihrer Männlichkeit hergeben, selbst wenn der natürliche Zustand wieder herstellbar ist. Die Angst bleibt.