Bochum, 23. März 2013:
Bei ~4000 schwangeren Frauen wurde der Vitamin D-Spiegel im Serum gemessen und später der Knochenmineralgehalt ihrer Kinder im Alter von 9-10 Jahren bestimmt: Es fand sich kein Unterschied zwischen den Nachkommen von Müttern mit niedrigem und mit höherem Vitamin D-Spiegel in der Schwangerschaft (1).
Debbi A. Lawlor et al. untersuchten die Vitamin D –Spiegel aus den tiefgefrorenen Blutproben von 3960 schwangeren Frauen im Rahmen der ALSPAC-Studie (Avon Longitudinal Study of Parents and Children) im Südwesten Englands. Bei deren Kindern wurde dann im Alter von 9-10 Jahren der Knochenmineralgehalt (Gesamtkörper abzüglich Kopf sowie an der Wirbelsäule) mit der Dual-Röntgen-Absorptiometrie (DEXA) bestimmt. Der 25-OH-Vitamin D-Spiegel (mmol/l bzw. ng/ml) war bei 77% der Schwangeren ausreichend (>50 bzw. >20), bei 28% insuffizient (27.5-50 bzw. 11-20) und bei 6% defizient (<27.5 bzw. <11). Zwischen den Kindern von Frauen mit ausreichendem gegenüber insuffizienten + defizienten Vitamin D-Werten fand sich im Knochenmineralgehalt der Nachkommen kein Unterschied. Die Autoren schreiben: „We believe, therefore, that there is no strong evidence that pregnant women should receive vitamin D supplementation to prevent low bone mineral content in their offspring”. Die neue Studie widerspricht einer früheren Publikation aus der gleichen Arbeitsgruppe (2), bei der aber nicht die Vitamin D-Spiegel gemessen wurden, sondern nur die Exposition gegenüber ultraviolettem Licht (UV-B) abgeschätzt wurde. Auch seien einige methodologische Punkte bei dieser Publikation aus dem Jahre 2009 nicht berücksichtigt worden (3).
Kommentar
Viele Leitlinien wie die des britischen NICE (4) oder auch der Pädiatrischen Gesellschaft Kanadas raten zur Vitamin D- Gabe in der Schwangerschaft. Im Unterschied dazu kam die Amerikanische Gesellschaft der Geburtshelfer und Gynäkologen im Juli 2011 zum Schluss, dass es ungenügende Beweise für die Empfehlung gebe, dass alle Schwangeren und stillenden Mütter täglich Vitamin D-Supplemente einnehmen sollten. Laufende Studien dazu seien abzuwarten (3). Die aktuelle Publikation von Lawlor et al. (1) ist ebenfalls ein Argument für eine Zurückhaltung. Eine routinemässige Vitamin D-Gabe in der Schwangerschaft sollten nur Hochrisiko-Frauen aus Südasien, Schwarze oder aus dem Mittleren Osten erhalten, ebenso Schwangere mit begrenzter Sonnenexposition, die sich weitgehend im Hause aufhalten bzw. nur mit vollbedeckter Kleidung ins Freie gehen. Dies treffe auch zu für Frauen mit Vitamin D-armer Diät, also ohne ölhaltige Fische, Eier und Fleisch, sowie für Frauen mit einem Body Mass Index über 30 vor der Schwangerschaft (4). In seinem Kommentar betonte Dr. Steer vom Imperial College London, dass es keine erwiesenen Beziehungen zwischen mütterlichen Vitamin D-Konzentrationen und dem Schwangerschaftsausgang gebe, wie etwa Frühgeburt, Geburtsverlauf bzw. -komplikationen oder auch Diabetes (3). Darüber hinaus sei sogar nicht einmal bekannt, welcher Vitamin D-Spiegel in der Schwangerschaft „normal“ sei.
Helmut Schatz
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Literatur
(1) D.A. Lawlor et al.: Association of maternal vitamin D status during pregnancy with bone-mineral content in offspring: a prospective cohort study.
Lancet online March 19, 2013
(2) A. Sayers, J.H. Tobias: Estimated maternal ultraviolet B exposure levels in pregnanceinfluence skeletal development of the child
J. Clin. Endocrinol. Metab. 2009; 94:765-771
(3) P. Steer: Comment: Is vitamin D supplementation in pregnancy advisable?
Lancet online March 19, 2013.
(4) National Institute for Health and Clinical Excellence: Antenatal Care. Issued March 2008, last modified June 2010.
http://www.nice.org.uk/nicemedia/live/11947/40115/40115.pdf
Diese für viele überraschenden Befunde werden im LANCET vom 31. August 2013 diskutiert. So wird auf ältere Studien hingewiesen, die einen Zusammenhang gefunden hatten (Javaid et al., Lancet 2006) und es werden mögliche Erklärungen offeriert. Die Autoren Lawlor et al. zitieren in ihrer Antwort eine ganz neue Arbeit, die ihre Befunde eines fehlenden Effekts der mütterlichen Vitamin D-Spiegel während der Schwangerschaft auf die spätere Knochendichte ihrer etwa 10jährigen Kinder bestätigt (Huh et al., FASEBJ 2013). Die Bedeutung des Vitamin D für viele Körpervorgänge bleibt nach wie vor umstritten – das „Sonnenhormon“ Vitamin D scheint wohl nicht ein Allheilmittel zu sein. Seine Bedeutung für das muskuloskelettale System ist freilich unbestritten, ebenso wie sein präventiver Effekt für Rachitis und bei einigen anderen Krankheitsbildern.