Mit der Claude-Bernard-Lecture ehrt die Europäische Diabetesgesellschaft (EASD) auf ihrer Jahrestagung alljährlich herausragende Wissenschaftler, die sich durch innovative Forschung auf dem Gebiet des Diabetes mellitus verdient gemacht haben. In diesem Jahr wurde beim 50. Jubiläumskongress der EASD in Wien Domenico Accili von der Columbia University in New York, USA, mit der 46th Claude Bernard Lecture ausgezeichnet.
In der Präsentation mit dem Titel „The new biology of diabetes“ legte der Preisträger dar, wie sich das Verständnis der Pathophysiologie des Typ 2 Diabetes mellitus von den 1980er Jahren bis heute wesentlich geändert hat. Damals wurde die eingeschränkte Insulinwirkung, die Insulinresistenz, als wichtigste Grundlage für die Entwicklung einer Beta-Zelldysfunktion und damit des Typ 2 Diabetes mellitus angesehen. In den 1990er Jahren konnte der Preisträger jedoch experimentell zeigen, dass die Ausschaltung der Insulinwirkung in Muskel und Fett nicht ausreicht, um eine substanzielle Betazell-Dysfunktion herbeizuführen.
Zur Entstehung des Diabetes mellitus sind weitere Defekte notwendig sind, welche unterschiedliche Organe gleichermaßen betreffen. Diese umfassen:
– Einen gestörten Glukose- und Lipidstoffwechsel der Leber
– Multiple inflammatorische Veränderungen im Organismus
– Defekte im enteroendokrinen System
– Veränderungen im zentralen Nervensystem
– Dysfunktionale Reaktionen des Gefäßendothels
– Multiple zelluläre Defekte der Insulin-produzierenden Beta-Zellen des endokrinen Pankreas
Der Preisträger ist insbesondere für die Entdeckung eines neuen Proteins bekannt, welches eine zentrale Rolle bei der Vermittlung der Insulin- und Glukagonwirkung in der Leber spielt – der Transskriptionsfaktor FoxO. Die Glukose–6–Phosphatase als FoxO-Zielgen spielt eine wesentliche Rolle dabei, wie Insulin die Glukoseproduktion, aber auch die Verstoffwechslung von Lipiden in der Leber kontrolliert. Ausgehend von der Tatsache, dass FoxO ein wesentlicher Mediator der Insulinwirkung in der Leber ist, stellte sich in weiteren Untersuchungen heraus, dass dies in multiplen Organen auf gleiche Weise erfolgt. Insulin steuert dabei über FoxO die Energieaufnahme und das Sättigungsgefühl im ZNS, die endotheliale Funktion, die Differenzierung von enteroendokrinen Zellen und vor allem die Aufrechterhaltung der Insulinsekretion durch die Betazellen des Pankreas. Im Rahmen der Pathogenese des Diabetes mellitus Typ 2 kann ein Defekt der FoxO–Wirkung sowohl zu einer vermehrten Glukoneogenese, als auch zu einer vermehrten Bildung von Lipiden in der Leber führen, und damit sowohl zu mikrovaskulären als auch makrovaskulären Komplikationen des Diabetes mellitus beitragen. FoxO stellt somit einen „gate-keeper“ für die Hyperglykämie und die Dyslipidämie, wie sie bei Typ 2 Diabetes regelhaft vorkommen, dar.
Eine provokative These über die Veränderung der Beta-Zellmasse bei der Entwicklung des Typ 2 Diabetes untermauerte der Preisträger durch eigene experimentelle Ergebnisse. Bisher galt das Dogma, dass der Verlust der Beta-Zellmasse bei Typ 2 Diabetes durch programmierten Zelltod (Apoptose) vorangetrieben wird. Durch elegante Untersuchungen demonstrierte der Preisträger, dass Betazellen bei Typ 2 Diabetes nicht „sterben“, sondern den hochdifferenzierten Phänotyp einer Insulin-produzierenden Zelle aufgeben, also dedifferenzieren zu Vorläuferzellen, die dann nicht mehr als Betazellen nachgewiesen werden können. Diese entdifferenzierten Zellen können sich dann nicht mehr wieder in Betazellen redifferenzieren, sondern entwickeln sich in Richtung anderer endokriner Zellen der Langerhans’schen Insel, wie z. B. Alphazellen, die dann zur pathologisch erhöhten Glukagonsekretion bei Typ 2 Diabetes beitragen.
Hieraus lässt sich ein Paradigmenwechsel für neue Therapieansätze des Diabetes mellitus Typ 2 ableiten: Redifferenzierung von Betazellen!
In weiteren innovativen Experimenten konnte gezeigt werden, dass die genetische Ausschaltung von FoxO in enteroendokrinen Zellen des Darmepithels zur Entwicklung von Insulin-produzierenden Zellen dort führt. Diese Zellen können sogar einen experimentell erzeugten Diabetes mellitus in Labortieren verbessern. In der Übertragung auf den Menschen zeigte der Preisträger spektakuläre Daten, wie aus Bindegewebszellen der Haut in der Zellkultur durch spezielle Tricks Mikro-Organoide von Darmepithel gezüchtet werden können, in welchen sich durch FoxO-Ablation dann Insulin-produzierende Zellen entwickeln. Diese Darm-Betazellen könnten bei Typ-1 wesentliche Vorteile haben – Darmzellen sind gegenüber anderen Körperzellen immunprivilegiert und könnten somit der Immunattacke bei Typ 1 Diabetes entgehen, und Darmepithelzellen werden konstant nachgebildet.
Referenzen:
http://www.easdvirtualmeeting.org/resources/18678
Autor:
Univ. Prof. Dr. med. Jochen Seufert, FRCPE
Abteilungsleiter
Endokrinologie und Diabetologie
Innere Medizin II
Universitätsklinikum Freiburg
Hugstetter Straße 55
79106 Freiburg
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