Medizinische Kurznachrichten der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie
(Prof. Helmut Schatz, Bochum)

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Metformin – wo ist die Evidenz? Rury Holman aus Oxford: ‚Die Evidenz ist unklar‘


Wien, 19. September 2014:

Auf dem 50. Europäischen Diabeteskongress in Wien wurde für den letzten Kongresstag eine „Michael Berger – Debatte“ über die Evidenz für Metformin angesetzt. Harold E. Lebovitz, USA vertritt den Standpunkt, dass diese „overwhelming“ sei, für Rury Holman, UK ist sie „unclear“.

Holman führte in der Pressekonferenz dazu eingangs aus, dass Metformin bereits 1958 in das British National Formulary registriert wurde und das einzige von zwei oralen Antidiabetika ist, welches die Weltgesundheitsorganisation (WHO) in ihre Modell-Liste von „Essenziellen Medikamenten“ aufgenommen hat. Metformin ist das weltweit am häufigsten verordnete Antidiabetikum.

Dennoch: Es gebe zwar keinen Zweifel an seiner Indikation als primäres blutzuckersenkendes Medikament bei Typ-2-Diabetes, sein exakter Wirkungsmechanismus sei aber letztlich immer noch unklar. Man könne Metformin nicht länger als insulinsensitivierendes Medikament ansehen. Es wirke über eine Unterdrückung der Glukoseproduktion in der Leber und nach neueren Resultaten setze es auch Glukagon-like Peptide-1 (GLP-1) aus dem Darm frei (1).

Die Möglichkeit, dass Metformin das kardiovaskuläre Risiko senke, sei weiterhin unklar, trotz positiver UKPDS – Resultate (2) und in die gleiche Richtung weisender epidemiologischer Analysen. Eine grosse, prospektive Studie über kardiovaskuläre Endpunkte sei dringend erforderlich.

Ein potenziell das Krebsrisiko mindernder Effekt sei ebenfalls unklar. Im Unterschied zu zahlreichen Hinweise dafür habe eine jüngere Metaanalyse keinen Unterschied in den Krebsraten mit oder ohne Metformin ergeben (3).

Robuste Evidenzen müssen noch erarbeitet werden: Deshalb wird in Grossbritannien (UK) in Kürze eine multizentrische, doppelblinde, placebokontrollierte prospektive kardiovaskuläre Outcome-Studie an etwa 13.000 Patienten beginnen, unter Leitung der Universitäten Oxford und Cambridge. Personen ab dem 40. Lebensjahr mit nicht-diabetischen Blutzuckererhöhungen, also einem HbA1c zwischen 37 und 48 mmol/mol werden in diese „GLINT“ genannte Studie aufgenommen werden (Glucose Lowering In Non-diabetic hyperglycaemia Trial). Sie müssen ein kardiovaskuläres 10-Jahres-Erkrankungsrisiko >/=20% aufweisen (4). Primäre Endpunkte sind kardiovaskulärer Tod, nicht-tödlicher Herzinfarkt und Schlaganfall, sekundäre Endpunkte Auftreten von Krebs und Diabetes. Die Studie soll 5-7 Jahre dauern.

Rury Holman endete mit den Worten: „It is amazing that several decades after metformin´s introduction we remain unclear about the true benefits and risks of the most widely-used antidiabetic drug on the planet”.

Kommentar

Die UK-Kollegen sind zu beglückwünschen, dass sie eine so grosse Studie auf die Beine bringen, um diesen Fragen auf den Grund zu gehen. In Deutschland wäre eine Studie über ein „uraltes“ Medikament ohne Patentschutz leider kaum möglich, da bei uns staatliche oder andere Finanzierungsmöglichkeiten ohne die pharmazeutische Industrie wohl nicht gegeben wären.

Helmut Schatz

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Kontakt: Prof. Rury Holman, E-Mail: rury.holman@dtu.ox.ac.uk

Literatur

(1) Mulherin AJ et al., Endocrinology 2011. 152:4610-4619

(2) Turner RC, Holman RR et al., UKPDS 34. Lancet 1998. 352:837-853

(3) Stevens N et al. Diabetologia 2012. 55:2593-2603

(4) www.GLINT-study.org

Publiziert am von Prof. Helmut Schatz
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