Medizinische Kurznachrichten der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie
(Prof. Helmut Schatz, Bochum)

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Eine ‚Neue Ära‘ in der Behandlung des Typ-2-Diabetes nach EMPA-REG OUTCOME und LEADER: Hat diese wirklich schon begonnen?


Bochum, 12. Juli 2016:

Nach den Publikationen der kardiovaskulären (CV) Sicherheitsstudien mit dem SGLT2-Hemmer Empagliflozin (EMPA-REG, Lit 1) und Liraglutid (LEADER,Lit.2), welche CV und  auch renale Vorteile zeigten, sprechen manche Diabetologen bereits von einer „Neuen Ära“ in der Diabetestherapie. Eines der beiden Antidiabetika sollte an erster Stelle als add-on nach Metformin eingesetzt werden. Man liest sogar schon die Forderung,  dass alle Typ-2-Diabetespatienten als erste Pharmakotherapie mit Empagliflozin (Jardiance®) plus Liraglutid (Victoza®) in Kombination behandelt werden sollten (1-4). Ist das gerechtfertigt auf Grund der bisher vorliegenden Resultate?

Kommentar

Nach meiner Auffassung nein, dazu ist es noch zu früh, denn wie immer in der Wissenschaft müssen Ergebnisse in zumindest 1 oder 2 weiteren Studien bestätigt werden. Wenn ich auch der Meinung bin und hoffe, dass nichts anderes herauskommen wird, so muss man bedenken, dass es sich bei den Teilnehmern an diesen Studien um Patienten mit einem bereits stattgehabten CV Ereignis oder zumindest mit hohem CV Risiko gehandelt hat. Man kann die Ergebnisse daher keineswegs automatisch auf alle Typ-2-Patienten extrapolieren.  Ganz abgesehen davon, dass das bei den derzeitigen Preisen für die beiden neueren  Antidiabetika kaum ein Gesundheitssystem bezahlen könnte.

Vor einer breiten Generalisierung sollte man auch noch die Ergebnisse bezüglich der Nebenwirkungen  nach längeren Zeiträumen abwarten. Mit den neueren Medikamenten sieht man mehr Apoplexe,  mehr Pankreaskarzinome,  Lipaseanstiege –  bei verminderten akuten Pankreatitiden – und anderes mehr wie Knochenbrüche oder schwere Urogenitalinfekte. Erst vor einigen Tagen hat die Europäische Arzneibehörde EMA mit der Überprüfung erhöhter Amputationsraten unter SGLT2-Hemmern einschliesslich Empagliflozin begonnen (5). Während Insulin und Sulfonylharnstoffe Hypoglykämien und Gewichtszunahme verursachen können, ist dies mit Empagliflozin und Liraglutid nicht der Fall.  Dennoch sollte Insulin nicht in den Hintergrund gedrängt werden: Insulin ist, wie es eine deutsche Kommentatorin bezeichnet hat, immer noch „das kleine Schwarze“ im Schrank, das für jeden Anlass passt – das gilt auch für Insulin in der  Therapie; eine gesteigerte Kanzerogenität ist wohl vom Tisch. Insulin und auch Sulfonylharnstoffe besitzen die stärkste hypoglykämische Wirkung. Zu den Sulfonylharnstoffen ist eben eine neue Metaanalyse erschienen, die keinen CV Nachteil erkennen lässt (6), und in der laufenden CAROLINA-Studie (siehe 7) findet ein head-to-head- Vergleich im Outcome mit Linagliptin und Sulfonylharnstoffen statt; nach dem Studienende 2018 wird man mehr wissen.

Während des ADA-Kongresses 2016 in New Orleans fand ein Symposium statt mit dem Titel:   „Cardiovascular outcome with antihyperglycemic therapy: past, present, and future impact on practice“ (7).  Die Antworten des Auditoriums am Ende auf die Frage nach der Therapie von konkreten Beispielfällen war erstaunlich heterogen. Im Zeitalter der „personalisierten Medizin“ wird man sich für von Patient zu Patient unterschiedliche Therapieformen, gemeinsam mit dem Patienten,  zu entscheiden haben, unter Berücksichtigung der persönlichen Charakteristika wie Lebensalter, Alter bei der Diabetesmanifestation, Krankheitsdauer, Blutdruck, Gewicht und auch der Akzeptanz des Patienten für eine orale oder injizierbare Therapie. Ob langfristig die nicht-hypoglykämischen  günstigen CV und zum Teil auch renalen Wirkungen der neueren Substanzen den Nachteil ihrer  im Vergleich zu den alten Präparaten schwächeren blutzuckersenkenden Wirkung ausgleichen oder – hoffentlich – überwiegen wird, muss man abwarten.

Helmut Schatz

Literatur

(1) Bernard Zinman et al.: Empagliflozin, cardiovascular outcomes, and mortality in type 2 diabetes.
New Engl J Med, September 17, 2015. DOI: 10.1056/NEJMoa1504720

(2) Steven B. Marso et al.: Liraglutide and cardiovascular outcomes in type 2 diabetes.
New Engl J Med, June 13, 2016. DOI: 10.1056/NEJMoa1603827

(3) Helmut Schatz: Empagliflozin (Jardiance®), ein SGLT2-Hemmer, verringert signifikant kardiovaskuläre Ereignisse bei Hochrisiko-Typ-2 Diabetes-Patienten.
blog.endokrinologie.net, 18. September 2015

(4) Helmut Schatz: Liraglutid senkt kardiovaskuläre Ereignisse bei Typ-2-Diabetes: die Zahlen der LEADER-Studie.
www.blog.endokrinologie.net, 17. Juni 2016

(5) Miriam E Tucker: EMA extends amputation investigation to all SGLT2 inhibitors.
http://www.medscape.com/viewarticle/865904_print

(6) Dimitris Varvaki Rados et al.: The association between sulfonylurea use and all-cause and cardiovascular mortality: a meta-analysis with trial sequential analysis of randomized clinical trials.
PLoS Med. 2016 Apr; 13(4): e1001992.
Published online 2016 Apr 12. doi: 10.1371/journal.pmed.1001992, Corrected: see PLoS Med. 2016 June 24; 13(6): e1002091

(7) Carol H Wysham et al: Cardiovascular outcomes with antihyperglycemic therapy: Past, present and future impact on practice.
http://www.medscape.org/

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Publiziert am von Prof. Helmut Schatz
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2 Antworten auf Eine ‚Neue Ära‘ in der Behandlung des Typ-2-Diabetes nach EMPA-REG OUTCOME und LEADER: Hat diese wirklich schon begonnen?

  1. Carsten Willig sagt:

    Das Beraterkomitee der FDA hat den Antrag von Boehringer Ingelheim auf Indikationserweiterung für Empagliflozin nur knapp mit 12:11 Stimmen befürwortet. Die FDA-Untersuchung erbrachte Zweifel an der korrekten Studiendurchführung. So wird vermutet, dass stumme Myokardinfarkte nicht von vornherein ausgeschlossen waren. Bei einer Sensitivitätsanalyse unter Einschluss der stummen Myokardinfarkte fand sich kein Vorteil mehr für Empagliflozin gegenüber Plazebo (HR 0.92, 95% CI 0.79-1.06). Auch wird geprüft, ob die Kriterien für Krankenhauseinweisungen wegen Herzinsuffizienz im Studienverlauf verändert worden waren.

  2. Carsten Willig sagt:

    Eben sehe ich, dass bereits im DGE-Blogbeitrag vom 18.9.2015 das Problem des Weglassens der stummen Myokardinfarkte erwähnt wurde.

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