Medizinische Kurznachrichten der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie
(Prof. Helmut Schatz, Bochum)

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Vermindert Fluoridzufuhr bei werdenden Müttern den kindlichen Intelligenzquotienten?


Graz, 1. September 2019:

In einer prospektiven, multizentrischen Observationsstudie von 2008-2012 in Kanada wurde an 512 Mutter-Kind-Paaren ein Zusammenhang zwischen der Fluoridaufnahme der Schwangeren, erfasst als Fluoridausscheidung im Urin der Mütter, mit dem Intelligenzquotienten (IQ) der Kinder im Alter von 3-4 Jahren gefunden. Der kindliche IQ wurde mit der Wechsler Primary School and Preschool Scale of Intelligence getestet. Pro 1 mg/L zusätzlichem mütterlichen Urinfluorid wurde der IQ bei den Jungen signifikant um 4.49 IQ-Punkte niedriger gefunden (p=0.02), im Gegensatz zu den Mädchen: Bei diesen ergab sich sogar eine nicht-signifikante Zunahme des IQ bei steigender mütterliche Fluoridausscheidung.

Man unterschied zwischen kanadischen Regionen und Städten mit und ohne Trinkwasser-Fluoridierung. Wurde die selbst berichtete Menge aufgenommenen Trinkwassers einschließlich Tee, Kaffee usw. berücksichtigt, so fand sich kein Geschlechtsunterschied: der IQ nahm pro 1 mg mehr Fluoridaufnahme um 3.66 IQ-Punkte sowohl bei Jungen als auch Mädchen signifikant ab (p=0.04). Die mittlere tägliche Fluoridaufnahme dieser Frauen betrug 0.39 mg; sie lag in Gebieten mit Trinkwasserfluoridierung bei 0.93 mg und ohne Fluorzusatz bei 0.30 mg. Es wurden über 30 mögliche Einflussfaktoren wie Ethnie, Alkohol, aktives und passives Rauchen, häusliche Umgebung, Haushaltseinkommen, Alter des Vaters u.v.a. berücksichtigt („everything we possibly could“). Die Publikation erschien am 19. August online im JAMA Pediatrics (1).

Kommentar

Die Veröffentlichung führte zu einer lebhaften Diskussion einschließlich der Stärken und Schwächen der Untersuchung, auch im Anschluss zu einem erklärenden Artikel (Editor´s Note) von Dimitri A. Christakis mit dem Titel: „Decision to Publish Study on Maternal Fluoride Exposure During Pregnancy“ (2). Im DGE-Blog wurde bereits am 10. Oktober 2017 über die im Wesentlichen gleichen Ergebnisse in der mexikanischen ELEMENT- Studie berichtet. Auch dieser Bericht war gefolgt von einiger Diskussion (3). In einem Editorial zu der hier präsentierten kanadischen Studie führt David C. Bellinger aus, dass das Gebiet der Umwelt-Epidemiologie voller Kontroversen sei (4). Besonders gross seien diese bei Fluorid und der Frage, ob man Trinkwasser zur Verminderung der Zahnkaries fluoridieren solle oder nicht. Die US Centers for Disease Control and Prevention zählen die Trinkwasserfluoridierung zu den 10 wichtigsten Gesundheitserrungenschaften des 20. Jahrhunderts, insbesondere zur Kariesverhinderung und „zur Überwindung von sozioökonoschen Ungleichheiten“. Bellinger weist darauf hin, dass Regionen mit Trinkwasserfluoridierung auf der Welt selten seien. In Europa würde man andere Fluorid-Strategien verfolgen wie etwa Supplemente, insbesondere während der Schwangerschaft, Fluoreinsatz in der Zahnbehandlung oder Fluorid-Zusatz zu Milch („fortified food“) oder auch Salz.

Die Fragen rund um Fluorid sind insgesamt weitgehend geklärt. Der Referent geht davon aus, dass es in den kommenden Jahren und Jahrzehnten weitere Studien zu den Problemen „Fluorid und Intelligenzquotient“ oder „Trinkwasserfluoridierung: Ja oder nein?“ geben wird.

Helmut Schatz

Literatur

(1) Rivka Green et al., mit Christine Till als Senior-Autorin: Association between maternal fluoride exposure during fetal development and IQ scores in offspring in Canada.
JAMA Pediatrics published online August 19, 2019. DOI:10.1001/jamapediatrics.2019.1729

(2) Dimitri A, Christakis: Decision to publish study on maternal fluoride exposure during pregnancy. (Editor´s Note).
JAMA Pediatrics published online August 19, 2019. DOI:10.1001/jamapediatrics.2019.3120

(3) Helmut Schatz: Höhere Fluoridkonzentration im Mutterleib mit geringerer kindlicher Intelligenz assoziiert.
DGE-Blogbeitrag vom 10. Oktober 2019

(4) David C. Bellinger: Is fluoride potentially neurotoxic? (Editorial).
JAMA Paediatrics published online August 19, 2019. DOI:10.1001/jamapediatrics.2019.1728

Publiziert am von Prof. Helmut Schatz
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Eine Antwort auf Vermindert Fluoridzufuhr bei werdenden Müttern den kindlichen Intelligenzquotienten?

  1. Thorsten Maverick sagt:

    Diese Studie blendet leider wieder Jod aus. Eine gute Jodversorgung der Mutter schon vor der Empfängnis und erst recht während der Schwangerschaft ist für intelligente Kinder aber sehr wichtig. Bei Jodmangel droht Kretinismus des Kindes. Fluor konkurriert als Halogen mit Jod, so daß das Ergebnis der Studie plausibel erscheint, da Jodmangel bei Schwangeren immer noch ein großes Problem ist. Ähnliche Probleme gibt es in den USA ja mit Brom, ebenfalls ein Halogen. Im übrigen habe ich so meine Zweifel, daß Karies auf einen Fluormangel zurückzuführen ist. Das sollte man vielleicht doch noch etwas besser erforschen und andere Ursachen in Betracht ziehen.

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