Medizinische Kurznachrichten der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie
(Prof. Helmut Schatz, Bochum)

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Frühe Thyreoidektomie bei Endokriner Orbitopathie?


Bochum, 23. Juli 2016:

Die Essener Arbeitsgruppe (Meyer zu Horste et al., Lit. 1) untersuchte retrospektiv 92 Patienten mit aktiver Endokriner Orbitopathie (EO), hohen TSH-Rezeptorantikörpern (TRAKs) und einem klinischen Aktivitätsscore (CAS) >/= 4. Nach 6 +/- 2 Monaten anfänglicher thyreostatischer Therapie aller 92 Patienten waren 46 Patienten thyreoidektomiert (Tx) worden, die anderen 46 wurden weitere 6 +/- 2 Monate thyreostatisch (ATD) weiterbehandelt. Die Patienten der thyreostatisch weiterbehandelten Kontrollgruppe wurden gematcht aus der Datenbank der Essener Klinik rekrutiert. Nach den ersten 6 Monaten nahm die EO-Aktivität (NOSPECS severity score) in beiden Gruppen in gleicher Weise ab. Am Ende der Nachbeobachtung nach 12 Monaten war jedoch der klinische Aktivitätsscore (CAS) in der in der Tx-Gruppe signifikant stärker auf 2.1 abgesunken als unter ATD (auf 2.8, p= 0.02).

TRAK sank nach 12 Monaten ebenfalls ab: in der Tx-Gruppe von 18,6 auf 5.2 U/l, in der ATD-Gruppe von 12.8 auf 3.2 U/l, ohne signifikanten Unterschied zwischen den Gruppen. Abbildung 1 zeigt die Daten für die Aktivität der GO (Graves´ Orbitopathy), den CAS Score vor (0) und nach 6 Monaten (1), den NOSPECS Score vor (0) und nach 12 Monaten (1) sowie TRAK vor (0) und nach 12 Monaten (1).

Abbildung 1 (aus Lit.1: Meyer zu Horste et al. 2016)

eo-thyreoidektomie

Die Autoren propagieren bei mittelgradiger bis schwerer EO mit hohem TRAK, da sie nur eine geringe Chance für eine dauerhafte Remission hätten, die rasche Thyreoidektomie nach thyreostatischer Anbehandlung, da dann früher rehabilitative Augeneingriffe möglich würden.

Kommentar

Dies ist eine sehr sorgfältige, retrospektive Analyse der Daten einer der renommiertesten deutschen Arbeitsgruppen mit jahrzehntelanger Erfahrung auf dem Gebiete der EO. Die Unterschiede erscheinen insgesamt nicht sehr gross, wenn auch signifikant  zu sein (Abbildung 1).

Kontrollierte prospektive; randomisierte Studien darüber werden von den Autoren vorgeschlagen, die aber ohne immunsuppressive Therapie erfolgen sollten (Lit. 1), was freilich im Einzelfall ärztlich-ethisch schwer zu vertreten sein dürfte.

Um die effektivste Therapie der EO gibt es eine jahrzehntelange Diskussion. Vor etwa einem halben Jahrhundert – und noch früher – wurde die (totale) Thyreoidektomie vorgeschlagen, hat sich aber nie durchgesetzt. Zwei Doktoranden des Referenten analysierten in den 1970er Jahren in Giessen das viele hunderte EO-Patienten umfassende Datenmaterial der dortigen Medizinischen Poliklinik und der Nuklearmedizinischen Abteilung, die über vier Radiojodtherapie-Plätze verfügte. Ergebnis: Die radiojodtherapierten Basedow- Patienten mit EO zeigten langfristig bessere Ergebnisse bezüglich der EO als die operierten oder thyreostatisch behandelten Fälle. Ende der 1990er Jahre kam die Arbeit von Bartalena et al. (2), die kurzfristig eine Verschlechterung der EO durch  Radiojodtherapie beobachteten und forderten,  diese nur unter Kortikoidschutz durchzuführen. Heute halten sich alle Nuklearmediziner daran. Die Orbitaspitzenbestrahlung hat nach wie vor ihren Platz im therapeutischen Repertoire. Zur Frage der medikamentösen, insbesondere immunosuppressiven Therapie gibt es seit den 1960er Jahren (3) eine anhaltende Diskussion. Der Referent hatte selbst in den 1960er Jahren in Wien EO-Patienten mit Azathioprin und Chlorambucli behandelt (4,5).  Kortikoide (3) stellen heute den Goldstandard dar.

Die konservative Therapie der Endokrinen Orbitopathie bleibt dennoch nach wie vor eine crux medicorum. Sehr erfolgreich sind die heutigen operativen Techniken. Sie sind  ein Segen für viele Betroffene. Ein weithin bekannter Deutscher  trägt dennoch weiterhin als sein Markenzeichen eine dunkle, wenn jetzt auch nicht mehr völlig undurchsichtige Brille…

Helmut Schatz

Literatur

(1) Meyer zu Horste M et al.: The effect of early thyroidectomy on the course of active Graves´orbitopathy: a retrospective case study.
Horm Metab Res 2016. 48:433-439

(2) Bartalena L et al: Relation between therapy for hyperthyroidism and the course of Graves‘ ophthalmopathy.
N. Engl. J. Med. (1998. 338, 73)

(3) Werner SC: Prednisone in emergency treatment of malignant exophthalmos.
Lancet 1966: 1004-1007

(4) Depisch D, Höfer R, Schatz H: LATS levels and conventional antibody titers. Relationship and reaction to immunosuppressive therapy.
Congress of the European Thyroid Association Marseille, 5-7 September 1968. Abstract

(5) Depisch D, Höfer R, Schatz H: Der Einfluß von immunosuppressiver Therapie auf den Long-Acting Thyroid Stimulator (LATS) und das klinische Bild bei Patienten mit lokalisiertem Myxödem und Exophthalmus.
Wien. Klin. Wschr. 1969. 81:8-10

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Posted on by Prof. Helmut Schatz
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One Response to Frühe Thyreoidektomie bei Endokriner Orbitopathie?

  1. Salk says:

    Ich glaube diese Studie wurde bei Patienten mit schon geringer EO durchgeführt. Es wäre gut zu wissen wie sich die Verhältnisse bei ausgeprägter EO mit deutlich auffälligem Exophtalmus zeigen. Ich denke, daß es schon einen Unterschied gibt zwischen einer leichten EO und ausgeprägtem Exophtalmus.
    Zum Glück tritt diese schwere Form selten auf.
    Ich würde bei therapieresistenten EO schon eine totale Thyreoidektomie empfehlen. Denn sonst ist die Progression der EO wirklich fast irreversibel.

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