Graz, 24. August 2013
In der heutigen Wochenendausgabe der Wiener Tageszeitung „Der Standard“ vom 24./25. August 2013 erschien ein Leitartikel mit der Überschrift: „Patientendaten: Keine Handelsware“. Auch in Österreich gibt es jetzt eine Debatte über die Weitergabe von Patientendaten durch Ärzte und Krankenhäuser an Marktforschungsunternehmen und Pharmakonzerne (1). Im „Spiegel“ vom 18./19. August 2013 wurde bereits 1 Woche zuvor („Pillendreher als Datendealer“) über die Weitergabe von Rezeptdaten in Deutschland berichtet (2).
Die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) hat sich vor 1 Monat mit dem Geheimhaltungsproblem im Gesundheitswesen und mit dem „Freiheitsrisiko“ befaßt, wie es der Soziologe Ulrich Beck, London in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung nannte (3). Daß Patienten mit ihren Krankheitsdaten und auch wir Ärzte mit unserem Verhalten im digitalen Zeitalter „gläsern“ würden, war zu befürchten. Wie man jetzt in Deutschland und Österreich sieht, ist offenbar ein Zugriff auf diese Daten möglich. Wieweit er illegal war oder doch noch legal, gedeckt etwa in Deutschland durch das 5. Sozialgesetzbuch (4), bleibt zu abzuklären.
Im „Spiegel“ wurde erwähnt, daß auch die verschreibenden Ärzte an den US-Konzern IMS Health bekanntgegeben wurden. Angeblich würden jedoch die Daten in Segmenten zu 10 Personen zusammengefaßt und „IMS Health könne nicht nachvollziehen, welche Rezepte welcher Arzt ausgestellt oder welcher Apotheker sie eingelöst hat“. Daß den Pharmafirmen aber das Verschreibungsverhalten von uns Ärzten bekannt ist, offenbarte sich mir vor etwa 1 Jahr: Ein Pharmavertreter teilte mir in meiner Praxis freimütig mit, „seine Firma wisse ganz genau, wieviele Packungen der Medikamente seines Unternehmens ich pro Quartal verschreibe“. Auf meine ungläubige Nachfrage bekräftigte er diese Aussage. Ich selbst führe seit meiner Emeritierung eine Privatpraxis und stelle nur Privatrezepte aus. Also kann es, wenn zutrifft, was der Vertreter sagte, nur über das Kopieren der von mir ausgestellten Verschreibungen laufen: Apotheken bieten ihren Kunden an, Rezeptkopien zu erstellen, was von den Patienten gerne angenommen wird. Viele Privatpatienten benötigen nämlich eine Kopie, wenn sie ein Rezept zweifach, bei der Beihilfestelle und bei der Krankenkasse einreichen müssen. Damit wären theoretisch auch Privatrezepte mit dem Arztnamen den Apotheken verfügbar und könnten an Marktforschungsinstitute und Firmen weitergegeben werden. Dies wurde von den Apotheken, die ich in Bochum befragte, stets verneint.
Das „Freiheitsrisiko“ der Preisgabe der individuellen höchst privaten Daten wird der Bevölkerung jetzt erst im vollen Umfang bewußt. Mit dazu beigetragen hat gewiß der „Whistleblower“ Edward Snowden. Dieser wurde dafür von dem schwedischen Soziologie-Professor Stefan Svallfors sogar dem Nobelkomitee für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen (3).
Helmut Schatz, z.Zt. Graz
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Literatur
(1) W. Müller: Patientendaten: Keine Handelsware.
In: DER STANDARD, Wien, 24./25. August 2013, Seite 36
(2) SPIEGEL online vom 18. August 2013.
http://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/patienten-apotheken-verkaufen-vertrauliche-daten-a-917118.html
(3) H.Schatz: Ärztliche Schweigepflicht, Gesundheitskarte und Edward Snowden.
Beitrag vom 22. Juli 2013 im DGE-Blog
(4) Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch (V) online
http://www.gesetze-im-internet.de/sgb_5/
Ich finde diesen Hinweis außerordentlich wichtig. Glaubwürdigkeit ist eine der wichtigsten Güter der wissenschaftlichen Medizin und wenn die hier erhobenen Vorwürfe zutreffen sollten, schwächt sich diese Medizin selber. Die schleichende Vereinnahmung von unabhängigen Ärzten und sogar auch von akademischen Forschungsanstalten durch private Interessen ist eine Gefahr, die es mit allen Kräften zu bekämpfen gilt. Dieser Beitrag sollte große Beachtung finden.
Friedl