Bochum, 18. April 2016:
Am 15. April 2016 kündigt die Europäische Arzneibehörde (EMA) eine Untersuchung der Daten aus der großen, laufenden kardiovaskulären Sicherheitsstudie mit Canagliflozin (Invokana®), der CANVAS-Studie an (1). In dieser sowie in der CANVAS-R – Studie (siehe unten) waren unter dieser Therapie im Vergleich zu Plazebo vermehrt Amputationen an der unteren Extremität beobachtet worden. In 12 anderen Canagliflozinstudien war dies nicht der Fall gewesen.
Kardiovaskuläre Hochrisiko-Patienten für CANVAS (CANagliflozin cardioVascular Assessment Study) wurden aus vielen europäischen Ländern einschliesslich Deutschland rekrutiert. Die Inzidenzen für Amputationen an der unteren Extremität betragen zur Zeit mit täglich 100 mg Canagliflozin 7, mit 300 mg 5 und mit Plazebo 3 in 1000 Patientenjahren. Ein Patientenjahr entspricht 1 Patienten, der ein Medikament 1 Jahr lang nimmt. In die Studie wurden 4500 Patienten aufgenommen, bisher wurden diese im Mittel 4.5 Jahre lang behandelt.
Die CANVAS-R-Studie untersucht insbesondere die Niere an einer ähnlichen Patientenpopulation. Hier betrug die Inzidenz an Amputationen an der unteren Extremität 7 in 1000 Patientenjahren und 5 unter Plazebo. Die mittlere Beobachtungszeit liegt bei 0.75 Jahren.
Das Pharmacovigilance Risc Assessment Committee (PRAC) wird der EMA möglicherweise auch eine Überprüfung der beiden anderen zugelassenen SGLT2-Hemmer Dapagliflozin (Forxiga) und Empagliflozin (Jardiance®) empfehlen. Daten darüber will das PRAC von den Herstellerfirmen anfordern.
Kommentar
Das unabhängige Daten-Beobachtungskomitee hat empfohlen, die beiden Studien CANVAS und CANVAS-R weiterlaufen zu lassen. Ärzte werden aber einen Brief erhalten, welcher auf die Wichtigkeit der routinemässigen, sorgfältigen Fusskontrolle hinweist, insbesondere im Hinblick auf Infektionen und Ulzerationen. Besonders gewissenhaft seien Patienten mit bereits stattgehabten Amputationen zu überprüfen. Beides ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit für alle diabetologisch tätigen Ärzte. Sie sollten aber überlegen, bei diesen und anderen hochgradig fussgefährdeten Diabetespatienten Canagliflozin abzusetzen.
Diese neuen Daten der EMA unterstreichen den Kommentar im DGE-Blog vom 8. April 2016 (2), dass bei den neuen Diabetesmedikamenten erst Langzeitbeobachtungen Klärung über schädliche Nebenwirkungen und damit das Nutzen-Risiko-Verhältnis werden bringen können.
Helmut Schatz
Literatur
(1) European Medicines Agency: EMA reviews diabetes medicine canagliflozin. Review follows data on toe amputations in ongoing study. 15 April 2016. EMA/267042/2016
(2) Helmut Schatz: Gute und weniger gute Nachrichten über Diabetesmedikamente: Semaglutid, Saxagliptin und Alogliptin.
DGE-Blogbeitrag vom 8. April 2016
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Am 10.2.2017 empfahl das Pharmakovigilanz-Risiko-Komitee (PRAC) der EMA, dass eine Warnung vor Amputationen an der unteren Extremität in die Produktinformation/den Beipqackzettel aller (!) SGLT12-Hemmer aufgenommen werden soll. Für Canagliflozin sollte das Risiko als „uncommon side effect“ eingestuft werden, d. h. zwischen 1 und 10 Fällen pro 1000 Patienten.