Publiziert am 17. Februar 2014 von Prof. Markus Luster und Helmut Höffken, Marburg
Im Sommer vergangenen Jahres erschien eine Analyse (1) zum Management von Patienten mit papillärem Mikrokarzinom (MPC). Die Autoren wiesen auf eventuell überflüssige Operationen beim MPC hin. Sie schlugen eine Erweiterung der Nomenklatur vor, die das niedrige Risiko und die gute Prognose des MPC berücksichtigt. MPCs mit Durchmessern < 20 mm sollten künftig bei Patienten mit negativer Familienanamnese und ohne vorausgegangene Strahlenexposition in der Krankengeschichte als „micropapillary lesions of indolent course“ (microPLICs) bezeichnet werden. Die Autoren ließen daraus abzuleitende therapeutische Konsequenzen noch weitgehend offen, empfahlen jedoch bereits, die Patienten über die gute Prognose auch ohne chirurgische Therapie zu informieren.
Nun erschien im Januar dieses Jahres in der Zeitschrift „Thyroid“ ein Editorial (2) zum Thema MPC, in dem die Autoren zwei Publikationen diskutieren, denen zufolge Patienten mit dieser Variante des differenzierten Schilddrüsen-Karzinoms nicht mehr in jedem Fall einer operativen Therapie zugeführt werden müssen:
In Autopsiestudien aus Finnland, Japan, Kanada, Kolumbien und den USA an Erwachsenen, die nicht an einem Schilddrüsenkarzinom verstorben waren, fand sich bei 5 % bis 35 % der Autopsierten ein Schilddrüsenkarzinom. Zudem ergaben die beiden aktuell publizierten Studien, dass nur bei ca. 8 % der Patienten mit bioptisch gesichertem MPC innerhalb von 10 Jahren bzw. nur bei 7 % der Patienten innerhalb von 5 Jahren eine Größenzunahme des belassenen Karzinoms von mehr als 3 mm zu verzeichnen war (3). Nur bei ca. 4 % der Patienten waren nach 10 Jahren regionäre Lypmhknotenmetastasen klinisch apparent und dann einer operativen Behandlung zugeführt worden (4), in der anderen Studie nur bei 1 % der Patienten nach 5 Jahren. In beiden Studien waren während des Beobachtungszeitraumes keine Fernmetastasen aufgetreten, und keiner der Patienten war an einem Schilddrüsenkarzinom verstorben.
Kommentar der Referenten
Jeder Schilddrüsenknoten ist prinzipiell malignitätsverdächtig. Letztendlich lässt sich aber die Malignität ausschließlich am Operationspräparat beweisen oder widerlegen. Die Operation eines Knotens ist mit möglichen Komplikationen verbunden, immerhin ein Risiko 2. bis 4. Ordnung. Wenn also jeder Schilddrüsenknoten operiert würde, wäre dies mit ungerechtfertigt hohen Kosten für das Gesundheitswesen verbunden und mit einer nicht vertretbar hohen Anzahl von Patienten, deren Lebensqualität durch die möglichen Komplikationen zum Teil erheblich eingeschränkt wäre. Also liegt es nahe, das Malignitätsrisiko durch nicht bzw. minimal invasive Methoden – hauptsächlich Sonografie, Szintigrafie und Feinnadelbiopsie – einzugrenzen. Nur bei hohem Malignitätsrisiko oder durch Feinnadelbiopsie bewiesener Malignität wird dann dem Patienten zur Operation geraten. Das Entscheidungskriterium für den Rat zur oder gegen die Operation ist also formal die Dignität des Knotens ungeachtet seiner Größe. Soweit die gängige Praxis.
Eine Sonderstellung scheint das papilläre Mikrokarzinom (MPC) der Schilddrüse einzunehmen: Demnach sollte die derzeitige Strategie überdacht werden, sogar wenn ein Karzinom bioptisch gesichert ist. Es stellt sich die Frage, ob statt bisher die Dignität der Knoten als alleiniger Entscheidungsparameter nicht auch die Prognose der Erkrankung mit ins Kalkül gezogen werden sollte. Selbst wenn ein bekanntes MPC nach einigen Jahren deutlich größenprogredient sein oder regionäre Lymphknotenmetastasen entwickeln sollte, gilt die Prognose der Erkrankung immer noch als exzellent, soweit bei derzeitiger Datenlage abschätzbar.
Beide Strategien basieren allerdings auf Wahrscheinlichkeiten, also dem Abwägen zweier Risiken: Dem der Operation und dem des Karzinoms per se. Dem Arzt kommt unverändert die beratende Funktion zu, letztendlich muss der Patient entscheiden, welches der beiden Risiken er eingehen möchte. Beim MPC sollte der beratende Arzt diesen Analysen zufolge nicht mehr prinzipiell zur operativen Sanierung drängen, sondern die engmaschige sonografische Kontrolle der Läsionen als Alternative anbieten. Abschließend ist zu bedenken, dass im Kontext dieser Untersuchungen sicher auch „weiche“ Faktoren wie operative Ressourcen, Tradition und kulturelle Aspekte das Procedere beeinflussen können.
Literatur
(1) J. P. Brito et al.: Thyroid cancer: zealous imaging has increased detection and treatment of low risk tumours.
BMJ. 2013 Aug 27;347:f4706. doi: 10.1136/bmj.f4706.
(2) D. S. Ross DS, et al.: Observing micopapillary thyroid cancers.
Thyroid. 2014 Jan;24(1):3-6. doi: 10.1089/thy.2013.0659.
(3) K. Ito et al.: Patient age is significantly related to the progression of papillary microcarcinoma of the thyroid under observation.
Thyroid 24:27–34.
(4) I. Sugitani et al.: Three distinctly different kinds of papillary thyroid microcarcinoma should be recognized: our treatment strategies and outcomes.
World J Surg 34:1222–1231.
Sehr geehrter Herr Professor Luster,
soll man, wenn man bei einem papillären Mikrokarzinom die „active surveillance“-Strategie wie beim Prostatakarzinom verfolgt, mit Thyroxin behandeln und mit welcher Dosis? TSH supprimieren oder im niedrigen Normbereich halten?
Vielen Dank für die Nachfrage zu unserem Block.
Ihre Frage lässt sich evidenzbasiert kaum beantworten, da keine langfristigen Erfahrungen oder gar kontrollierte randomisierte Studien zum Thema vorliegen. Der Logik unserer Argumentation folgend, sollte jedoch eine langfristige TSH-Suppression mit ihren potenziellen Folgen vermieden werden.
In unserer Klinik ist es die Regel, dass wir Patienten nach spätestens 1 Jahr der TSH-Suppression liberaler führen und das TSH im niedrig normalen Bereich einstellen.
Prof. Dr. Markus Luster
Sehr geehrte Herr Professor luster,sollte man nach der Operation von schilddrüse krebs ,oder besser zu sagen denn 3mm.Mikro Karzinom das ganze lebelang L-Thyroxin Tabletten einnehmen oder gibt es andere alternativen?Und das mochte ich noch wissen müsste man immer Angst haben dass es zurück kehrt!Dankeschön in voraus?