Medizinische Kurznachrichten der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie
(Prof. Helmut Schatz, Bochum)

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Ärztliche Schweigepflicht, Gesundheitskarte und Edward Snowden


Bochum, 22. Juli 2013

Die ärztliche Schweigepflicht ist in § 203 des Strafgesetzbuches und in § 9 der Musterberufsordnung umfassend für das ärztliche Behandlungsverhältnis geregelt. Die Vorschriften des Bundesdatenschutzgesetzes sind vom Arzt zu beachten (1). Die elektronische Gesundheitskarte, deren Einführung in Deutschland am 1. Januar 2006 geplant war, wurde seither heftig diskutiert. Sie bietet unzweifelhaft große Vorteile. Ich muß jedes Mal an diese denken, wenn ich mich in meiner Praxis mühsam durch die Anamnese oder auch mitgebrachte, dicke Befundordner durcharbeiten muss, die oft unvollständig sind, so daß ich in der Kollegenschaft fehlende Ergebnisse von Voruntersuchungen erst noch anfordern muß. Vom Deutschen Ärztetag wurde die Gesundheitskarte mehrfach abgelehnt, insbesondere wegen der befürchteten zentralen Datenspeicherung mit der Möglichkeit eines – wenn auch nicht zulässigen – Zugriffs auf sensible Patientendaten. Im Jahre 2007 sagte der damalige Präsident der Freien Ärzteschaft , die Gesundheitskarte sei „der Schlüssel zu einer gigantischen Vernetzung des Gesundheitswesens über das Internet mit zentraler Speicherung auch der intimsten Patientendaten auf Zentralservern. Die Gesundheits- und Krankendaten würden den Ärzten entzogen und unterlägen dann nicht mehr dem Schutz durch die ärztliche Schweigepflicht. Durch die Gesundheitskarte entstünde der „Gläserne Patient“ (2). Das „Komitee für Grundrechte und Demokratie“ äußerte ebenfalls Bedenken zur elektronischen Gesundheitskarte, die als „gigantisches Überwachungsprojekt“ von Ärzten und Patienten angelegt sei (3). Diesen warnenden Stimmen stehen aber viele positive, auch von Patienten gegenüber. Nach verschiedenen Testläufen war schließlich – bei einer von den Krankenkassen festgesetzten Frist zum 31. Januar 2013 – Anfang Januar 2013 laut Angaben des Spitzenverbandes der Krankenkassen die geforderte Ausgabequote der Gesundheitskarte von 70% erreicht (4).

Die jüngsten Enthüllungen von Edward Snowden über die US-Amerikanischen und, wie sich im Gefolge herausstellte, der weltweiten digitalen Überwachungsaktivitäten geben den Bedenken und der jahrelangen ablehnenden Haltung des Deutschen Ärztetages im Nachhinein Recht. Ulrich Beck, Soziologe aus Hannover, heute Professor an der Londoner School of Economics and Political Science, gab der Frankfurter Allgemeine Zeitung ein Interview zum Thema „Digitalen Weltstaat oder digitaler Humanismus“, abgedruckt in dieser Zeitung am Samstag, 20. Juli 2013 (5). Er spricht von einer „unsichtbaren Katastrophe“, die den Widerstand jedes Einzelnen, sogar eine „Whistleblower Gewerkschaft“ nötig mache. Im Unterschied zu den der Weltöffentlichkeit bewußt gewordenen Risiken der letzten Jahre wie dem Kernkraftrisiko nach Tschernobyl und Fukushima, dem Finanzrisiko, dem 11. September und dem Terrorrisiko drohe nun das digitale, globale „Freiheitsrisiko“, welches vor Snowden nur wenige als das große Risiko unserer Zeit erkannt hatten. Man sah die neuen technologischen Entwicklungen als notwendige Modernisierungen mit zu akzeptierendem Risiko an. Das globale Terrorrisiko hielt man für wichtiger als das Freiheitsrisiko. In digitalen Großkonzernen gebe es die Widerstandsmöglichkeit des Einzelnen. Man müsse eine Pflicht zum Widerstand im Beruf rechtlich durchsetzen, zuerst national, dann auf europäischer Ebene. Die Facebook-Generation gehe mit dem „Freiheitsrisiko“, dem Verlust der eigenen privaten Daten, recht sorglos um. Dieses Beispiel zeigt, dass ein Nationalstaat dem heutigen, globalen Freiheitsrisiko nicht begegnen kann: Die Facebook-Zentrale sitzt in Irland, nationalstaatliche Rechtsinstitutionen wie etwa die deutschen Datenschutzbeauftragten oder der Bundesgerichtshof sind nur für den eigenen Staat zuständig. Also bedarf es zuerst einer allgemeinen, globalen Beunruhigung über das Risiko einer Verletzung der Freiheitsrechte, dann müsse ein „digitaler Humanismus“ formuliert werden. Man müsse das Grundrecht auf Datenschutz und digitale Freiheit zu einem globalen Menschenrecht machen und versuchen, dieses Recht wie andere Menschenrechte auch gegen Widerstand durchzusetzen.
Die Dauerreflexion über die Gefährdung könnte zu einem Prozeß weltweiter Normenbildung führen, das Rechtsbewußtsein globaler Normen entstünde dann im Nachhinein aus dem weltöffentlichen Entsetzen über Ihre Verletzung (5).

Die große Bedeutung der Enthüllung des Überwachungssystems PRISM mag man daraus ersehen, dass Snowden von dem schwedischen Soziologie-Professor Stefan Svallfors für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen wurde. Er bescheinigte Snowden in einem Brief an das Nobelpreis-Komitee „herausragende Verdienste im Kampf für fundamentale Rechte und Freiheiten“. Snowden habe einen Beitrag für eine „bessere und sicherere Welt“ geleistet (6). In der Tageszeitung „Västerbottens Kurieren“ wird aus diesem Brief der Passus zitiert: Snowden habe „in heldenmütigem Einsatz zu einem hohen persönlichen Preis die Existenz und die Dimension der Überwachung der weltweiten elektronischen Kommunikation durch die US-Regierung enthüllt“.

Helmut Schatz

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Literatur:

(1) Empfehlungen zur ärztlichen Schweigepflicht, Datenschutz und Datenverarbeitung in der Arztpraxis.
http://www.bundesaerztekammer.de/page.asp?his=0.7.47.6188

(2) Gegen Vorratsdatenspeicherung der elektronischen Gesundheitskarte.
http://www.die-krankheitskarte.de/index.php?archives/348

(3) Zu den Risiken und Nebenwirkungen der elektronischen Gesundheitskarte.
http://www.grundrechtekomitee.de/node209
In: Grundrechtekomitee.de, 16. September 2007

(4) Tagesspiegel: Krankenkassen drohen ihren Versicherten, 28. 1. 2013.
http://www.tagesspiegel.de/politik/elektronische -gesundheitskarte-krankenkassen-drohen-ihren-versicherten/7699976.html

(5) Im Gespräch: Der Soziologe Ulrich Beck. Digitaler Weltstaat oder digitaler Humanismus.
Frankfurter Allgemeine Zeitung, Samstag; 20. Juli 2013, Seite 40

(6) Snowden beantragt offiziell Asyl in Russland. Nobelpreis für Snowden?
Süddeutsche Zeitung, 16. Juli 2013
http://www.sueddeutsche.de/politik/prism-enthueller-snowden

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One Response to Ärztliche Schweigepflicht, Gesundheitskarte und Edward Snowden

  1. Peter Konang says:

    Wozu die Aufregung um Snowdon? Sicher nicht wegen Gefahr für Patientendaten. Nur selten flackern Botschaften über Aktivitäten der – spez. amerikanischen – Geheimdienste durch unsere Medien, dann aber fehlt meist irgendwo jemand oder ist tot umgefallen. Die Gründe für diese Aktivitäten bleiben meist im Dunklen; daher der Internet-Bürger auch nicht wissen kann, ob er gerade nur seine Meinung oder etwas höchst Staatsgefährdendes gesagt hat. Für Zwecke der Kontemplation sind die gesammelten Datenmassen durch die NSA einfach zu teuer. Was systemkritischen Personen passieren könnte, ist unklar, aber eine Bedrohung empfinde ich durchaus.

    Eine Anekdote zum Thema: Mein Sohn berichtet mir von einer Snowdon-Aktion einiger Bekannter. Sie wollten mit T-Shirts „Snowdon-Fans“ vor ein Gebäude ziehen, in dem sich angeblich eine NSA-Station befindet. Nachdem sie sich für ihre Aktion über facebook verabredet hatten, stand am nächsten Morgen die deutsche Polizei vor der Tür und riet ihnen dringend von der Aktion ab, verhielten sich aber, wie von deutschen Behörden zu erwarten. Vor der geplanten Aktion waren die jungen Leute impulsiv und fröhlich engagiert, nun sind sie ernster geworden. Verängstigt? Das nicht, es schwebt die Frage, warum sich die Behörden durch eine solche demokratische Meinungsäußerung bedroht fühlen – führen sie etwas im Schilde? Dass sie bespitzelt werden, sagen sie, hätten sie vorher schon geahnt, jetzt wissen sie es; schwerwiegender sei ein das Gefühl von ungreifbarer Bedrohung.

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