Medizinische Kurznachrichten der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie
(Prof. Helmut Schatz, Bochum)

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Darmkrebs durch Erreger im Fleisch und in der Milch europäischer Rinder?


Bochum, 10. März 2019:

Harald zur Hausen, Nobelpreisträger für Physiologie oder Medizin 2008, stellte am 26. Februar 2019 auf einer Pressekonferenz des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) in Heidelberg neue Daten vor, die dafür sprechen, dass  bisher unbekannte Erreger im Fleisch und in der Milch europäischer Rinder Krebsrisikofaktoren sind (1), ein Thema, über das er schon lange arbeitet.  Die Erreger bezeichnet er als „BMMF“ (Bovine Meat and Milk Faktors), die Charakteristika von Viren und Bakterien aufweisen, aber keiner dieser beiden Gruppen angehören. Sie sind bakteriellen Plasmiden ähnlich und sehen wie Einzelstrang-DNA – Kringel aus. Harald zur Hausen hat gemeinsam mit seiner Frau Ethel-Michele de Villiers und Timo Bund in den letzten Jahren über 100 dieser Faktoren studiert. Die Heidelberger Forscher fanden BMMF bei europäischen Kühen im Blutserum und in Kuhmilch und Milchprodukten auch aus Supermärkten sowie im Blut von Patienten mit Darmkrebs, aber auch von gesunden Personen. Harald zur Hausen vermutet, dass sich Menschen schon sehr früh im Leben mit BMMF infizieren, wenn sie nach dem Abstillen Kuhmilch bekommen. BMMF würden zum Beispiel in Darm-, Prostata-  und Brustgewebe chronische Entzündungsvorgänge und einen gesteigerten oxidativen Stress bewirken, mit der Folge erhöhter freie Radikale, die zu gesteigerten Mutationsraten führen. Dies könnte über längere Zeiträume die Entstehung von Krebs bewirken oder zumindest fördern. Timo Bund fand mit Antikörpern gegen das „Rep-Protein“, welches in allen BMMF vorkommt, im Gewebe von Dickdarmkarzinomen  diese Erreger, aber nicht in den Tumorzellen selbst, sondern im den Tumor umgebenden Gewebe. Harald zur Hausen betonte, dass dies also ein ganz anderer Mechanismus der Karzinogenese sei als bei der Krebsinduktion im Gebärmutterhals durch das humane Papillom-Virus (HPV), für deren Entdeckung er den Nobelpreis 2008 erhalten hatte.

Kommentar

Die Inzidenzen für Dickdarm- und Brustkrebs sind in verschiedenen Regionen der Erde sehr unterschiedlich. Auffallend hoch ist vergleichsweise die Krebsassoziation mit dem Konsum von Fleisch und Milch europäischer Rinder. Im Unterschied zu Europa, Nordamerika, Argentinien und Australien sind die Raten für Kolon- und Brustkarzinome in Indien, der Mongolei und Bolivien niedrig. Dort wird entweder kein Rindfleisch gegessen wie in Indien, wo die Kuh heilig ist (wie bei den alten Germanen das Pferd, weshalb – gewiss unbewußt –  viele in Deutschland  im Unterschied etwa zu Frankreich auch heute kein Pferdefleisch essen),  oder sie verzehren das Fleisch von anderen Rinderarten wie den Yaks, vorwiegend  in Zentralasien, oder den Zebus, vorwiegend in Bolivien.  Diese epidemiologischen Beobachtungen führten Harald zur Hausen zu seiner Infektionstheorie der Krebsentstehung. Er meint, dass diese nicht nur für den Dickdarmkrebs, sondern auch bei anderen Krebsarten von großer Bedeutung sei und BMMF bei ¾ aller Tumoren eine Rolle spielen könne. Der Vorstandsvorsitzende des DKFZ,  Michael Baumann, der die Pressekonferenz (1) leitete betonte, dass bei der Krebsentstehung natürlich auch andere Risikofaktoren wie Rauchen, ungesunder Lebensstil, Bewegungsmangel  und die Art der Ernährung mitspielen dürften. Baumann geht davon aus,  dass „knapp 38% aller Krebserkrankungen eigentlich vermeidbar wären“ (2).

Soll man jetzt als Erwachsener auf Rindfleisch und Milchprodukte verzichten? Harald zur Hausen verneint diese Frage und betont, dass er selbst auch nicht auf solche Nahrungsmittel verzichte. Aber man sollte Säuglinge möglichst lange stillen. Die Muttermilch enthalte nicht nur keine BMMF wie unsere Kuhmilch, sondern vor Infektionen schützende Faktoren wie  bestimmte Zuckerarten, welche die Bindung von Erregern an Zellen und damit Entzündungen verhindern. Diese schützenden Faktoren könne man etwa nach dem Abstillen der kuhmilchhaltigen Babynahrung zusetzen. Auch Impfungen könnte man nach Harald zur Hausen entwickeln (so wie man heute gegen HPV  impft, zum Schutz vor Krebs insbesondere am Gebärmutterhals, aber auch am After, Penis, oder im Mund und Rachen).

Sollte sich das Konzept der Induktion von Krebs durch die neu entdeckten Erreger BMMF bestätigen und eine Prävention etwa durch Impfung erfolgreich sein, so sieht der Referent (H.S.)  in Harald zur Hausen einen Kandidaten, die äußerst geringe Zahl der Träger von zwei Nobelpreisen zu erhöhen (vgl. DGE-Blog  Lit. 3).

Helmut Schatz

Literatur

(1) Pressekonferenz des Deutschen Krebsforschungszentrums: „Neuartige Infektionserreger als Krebsrisikofaktoren“. 26. Februar 2019.

(2) Sonja Böhm: Theorie von DKFZ-Forschern: Steigen neuartige Erreger in Milch und Rindfleisch das Risiko für Darmkrebs?
https://deutsch.medscape.com/artikelansicht/4907693_print

(3) Helmut Schatz: Frederick Sanger gestorben – er setzte mit der Aufklärung der Insulinstruktur einen Markstein der Eiweißchemie.
DGE-Blogbeitrag vom 9. Januar 2014

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Publiziert am von Prof. Helmut Schatz
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