Bochum, 24. Dezember 2014:
Nicht selten sind es die unerwarteten Wendungen, welche die Forschung weiterbringen. Edward C. Kendall hatte sich seit Anfang 1914 in den Labors der Mayo-Klinik darum bemüht, die lange gesuchten Schilddrüsenhormone zu isolieren. Ende Dezember des Jahres war es ihm bereits gelungen, mit Ethanol eine jodreiche Fraktion aus Schilddrüsenextrakten zu lösen. Am Ende einer langen Serie aus umfangreichen Aufreinigungsschritten schlief er schließlich am Abend des 23. Dezember vor Erschöpfung im Labor ein. Als er wieder aufwachte stellte er fest, dass der Alkohol vollständig verdunstet war und eine weiße Kruste im Becherglas hinterlassen hatte. Bei der Analyse des Rückstands am nächsten Morgen stellte er fest, dass er 60% Jod enthielt. Während des Tages präparierte er mehr von dieser Kruste. Er stellte fest, dass sie sich nicht mehr in Ethanol löste. Erst nach Zugabe von Natriumhydroxid ging ein Teil davon in Lösung. Als er am Weihnachtstage einige Tropfen Essigsäure dazugab, fiel die reine Substanz in Form von Kristallen aus, die Kendall zunächst „Compound A“ und später Thyroxin nannte (1).
In nachfolgenden Experimenten konnte Edward Kendall nachweisen, dass Thyroxin bei Hunden Symptome einer Thyreotoxikose auslöst und bei Patienten mit Kretinismus und Myxödem die gleichen günstigen Wirkungen wie die bislang verwendeten Schweineschilddrüsen hatte.
Um 1900 war bereits bekannt, dass die Schilddrüse mindestens ein jodhaltiges Hormon produziert, nachdem Eugen Baumann aus Freiburg gezeigt hatte, dass ein von ihm Jodothyrin genanntes Schilddrüsenextrakt geeignet war, Patienten mit Hypothyreose zu behandeln. Kurz darauf hatte Adolph Oswald aus Zürich das Protein Thyreoglobulin nachgewiesen und gezeigt, dass Jodothyrin daraus durch Säuren extrahiert werden kann.
Erst die Weihnachtsentdeckung Kendalls hat jedoch gezeigt, dass es eine Aminosäure ist, die das wirksame Prinzip des Jodothyrins darstellt. Sie hat nicht nur die Schilddrüsenforschung revolutioniert, sondern erstmals auch die Möglichkeit eröffnet, Patienten mit Hypothyreose auf sichere und reproduzierbare Weise zu behandeln.
Seit Kendalls Entdeckung wurden weitere aktive Schilddrüsenhormone wie T3, 3,5-T2, TRIAC und Thyronamine beschreiben. Thyroxin ist jedoch insofern das wichtigste, als es den Ausgangspunkt für alle klassischen und nicht klassischen Schilddrüsenhormone bildet.
Kendall hat weitere wichtige Beiträge zur Endokrinologie geleistet. Für die Entdeckung des Nebennierenhormons Cortison (Compound E) erhielt er im Jahre 1950 gemeinsam mit Tadeus Reichstein und Philip S. Hench den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin (2, 3).
Johannes W. Dietrich
Literatur
(1) Edward C. Kendall: The isolation in crystalline form of the compound containing iodine which occurs in the thyroid: Its chemical structure and physiological activity.
Trans Assoc Am Physicians. 1915; 30:420–9.
(2) Dwight Ingle: Edward C. Kendall 1886–1972. Biographical Memoir.
National Academy of Sciences, Washington D. C., 1975.
(3) Dennis Douda: Christmas Eve Discovery 100 Years Ago is Still Helping Millions.
Online-Video der Mayo-Klinik.
http://newsnetwork.mayoclinic.org/discussion/christmas-eve-discovery-100-years-ago-is-still-helping-millions/
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