Medizinische Kurznachrichten der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie
(Prof. Helmut Schatz, Bochum)

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Deutlich niedrigere Malignitätsrate von Schilddrüsenknoten in einer retrospektiven Studie von 17.592 Patienten eines primären/sekundären Zentrums als bisher publiziert


Die Malignitätsrate von Schilddrüsenknoten wird in der Literatur sehr unterschiedlich angegeben, Leitlinien geben Werte um 5-15 % an. Dies war der Grund, warum die DGE- Mitglieder Martin Grußendorf und Georg Brabant gemeinsam mit der Zytologin Ilka Ruschenburg retrospektiv die Daten von 17.592 Patienten mit Schilddrüsenknoten >1cm ausgewertet haben, die in einem primären/sekundären endokrinologischen Zentrum in den Jahren zwischen 1989 und 2013 untersucht und betreut wurden (1).

7.776 (44,2%) dieser Patienten hatten eine oder mehrere Feinnadelpunktionen (FNAC) bekommen, 1.904 (10,8%) wurden operiert, 6.731 wurden länger als ein Jahr kontrolliert, davon 1.165 länger als 10 Jahre (s. Abb.1a)

Im 1. Jahr nach der Erstvorstellung wurde bei 155 Patienten ein Schilddrüsen-Malignom histologisch nachgewiesen, in den Jahren 2 bis 5  bei 25, in den Jahren 6-10 nur noch bei 9; danach in den Jahren 11 bis 23 bei keinem Patienten (siehe Abb. 1b). Insgesamt fanden sich somit Malignome bei 189 von 17.592 Patienten, dies entspricht lediglich einer Malignomrate von 1,1 %, wobei zufällig gefundene papilläre Mikrokarzinome nicht berücksichtigt wurden.

Abbildung 1a und 1b aus Lit. (1)

Wie erklären die Autoren die Diskrepanz zu den bisherigen Publikationen?

  1. In den bisherigen Publikationen wird nicht eindeutig klargestellt, ob sich die beschriebenen Malignomraten auf
    • alle sonographisch nachgewiesenen Schilddrüsenknoten über 1 cm oder
    • nur auf die punktierten oder
    • nur auf die operierten Knoten
  2. Faktisch alle Publikationen über die Malignomrate von Schilddrüsenknoten stammen aus tertiären, meist universitären hochspezialisierten Zentren, in denen in der Regel präselektionierte Patienten untersucht wurden, die bei Voruntersuchungen bereits als suspekt klassifiziert worden sind.
  3. Aus faktisch allen Publikationen geht nicht hervor, ob auch papilläre Mikrokarzinome als Zufallsbefunde bei der Berechnung mitberücksichtigt wurden, da diese (wie von Miranda-Filho et al. beschrieben (2)) die Malignomraten deutlich erhöhen. Aus diesem Grund wird immer mehr empfohlen, auf ein sonographisches Screening bei symptomlosen Patienten zu verzichten (3)
  4. Bisher haben sich nur 3 Arbeiten sich mit der Malignomrate im Verlauf von initial sonographisch und/oder zytologisch als benigne eingestuften Knoten beschäftigt, auch dies muss natürlich mitberücksichtigt werden.

Die von den Autoren gefundene niedrige Malignomrate von 1,1 % in 23 Jahren ist gut mit den Daten vom Robert Koch Institut (4) zu Prävalenz von Schilddrüsenmalignomen in Deutschland kompatibel: dort wird eine Prävalenz von ca.1,3% für 25 Jahre angegeben.

Zusammengefasst sprechen die Daten dafür, dass die Häufigkeit von Schilddrüsenmalignomen deutlich niedriger ist als bisher beschrieben; die Autoren hoffen, dass dies dazu beitragen wird, dass bei Patienten und auch manchen Ärzten bei der Neuentdeckung eines Schilddrüsenknotens nicht Angst bzw. besondere Besorgnis auftritt  und insbesondere dass unnötige Schilddrüsenoperationen dadurch vermieden werden.

Martin Grußendorf, Halblech

Literatur:

1. Grussendorf M, Ruschenburg I, Brabant G. Malignancy rates in thyroid nodules – a long-term cohort study of 17,592 patients.
Eur Thyroid J. 2022 May 1;11(4):e220027. doi: 10.1530/ETJ-22-0027. Online ahead of print (free access).

2. Miranda-Filho A, Lortet-Tieulent J, Bray F, Cao B, Franceschi S, Vaccarella S & Dal Maso L. Thyroid cancer incidence trends by histology in 25 countries: a population-based study.
Lancet Diabetes Endocrinol. 2021;9(4):225-234.

3. Bibbins-Domingo K, Grossman DC, Curry SJ, Barry MJ, Davidson KW, Doubeni CA, Epling JW Jr, Kemper AR, Krist AH, Kurth AE, et al. US Preventive Services Task Force. Screening for Thyroid Cancer: US Preventive Services Task Force Recommendation Statement.
JAMA. 2017;317(18):1882-1887

4. Robert Koch Institut: Krebs in Deutschland für 2017/2018 (Berlin, 2021).
https://www.krebsdaten.de/Krebs/DE/Content/Publikationen/Krebs_in_Deutschland/kid_2021/kid_2021_c73_schilddruese.pdf?__blob=publicationFile

Publiziert am von Prof. Martin Grußendorf
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4 Antworten auf Deutlich niedrigere Malignitätsrate von Schilddrüsenknoten in einer retrospektiven Studie von 17.592 Patienten eines primären/sekundären Zentrums als bisher publiziert

  1. Helmut Schatz sagt:

    Am 14. 7. 2022 erschien im JAMA Otolaryngology-Head and Neck Surgery eine Arbeit von Sajisevi et al. über 1328 Patienten, die in 6 Zentren im Jahre 2019 an der Schilddrüse operiert wurden. Bei 613 (46%) wurde histologisch ein Karzinom gefunden. Die meisten Karzinome bei asymptomatischen Patienten waren kleiner als bei Vorliegen von Symptomen. Drake und Caicedo-Granados schreiben im Editorial dazu: „…….begins a process that often ends with surgery and the diagnosis of cancer….This aggressive evaluation and treatment cascade of asymptomatic patients is likely contributing to the overdiagnosis and overtreatment of thyroid cancer“. Auf der Sektionstagung „Schilddrüse“ (siehe DGE-Blogbeitrag vom 1. 12. 2018) zum papillären Mikrokarzinom der Schilddrüse wurde empfohlen, statt von einem Karzinom von einer „Papillären Läsion“ zu sprechen und es wurde das „Nonsurgical Management of Thyroid Nodules“ sowie eine „Active Surveillane“ diskutiert, ganz im Sinne von Grußendorf et al…

  2. Sigrun Merger sagt:

    Es wird leider oft übersehen, dass Knoten in einem Jodmangelgebiet nicht mit Knoten in einer guten Jodsubstitution verglichen werden sollten, somit sind US-Daten (mit Jod) mit Daten in Deutschland (keine staatliche Jodprophylaxe) nicht zu vergleichen. Es ist leider auch so, dass operative DRGs besser vergütet werden als nicht operative und dass zur Erlangung Zertifikats eines operativen Schilddrüsenzentrums eine MindestOP-Zahl erforderlich ist, ,….

  3. Helmut Schatz sagt:

    Mit den DRG´s haben Sie Recht, mit dem Argument der Jodversorgung? Die Arbeit von Grußendorf und Brabant stammt von deutschen Patienten und da ist die Karzinominzidenz auch sehr niedrig,

  4. Martin Grussendorf sagt:

    Belastbare Zahlen über die unterschiedlichen Malignomraten in jodarmen und jodreichen Ländern sind selten, Miranda-Filho et al. ( DOI: 10.1016/S2213-8587(21)00027-9) beschrieben 2021 in einer neuen Arbeit, dass z.B. die Inzidenz von SD-Ca´s in Deutschlandn in den Jahren 2008-2012 bei 9,9/100.000 Einw. lag, davon 7,6 PTC und 2,3 alle anderen Ca´s. In den USA lagen die Inzidenz-Zahlen gesamt bei 28,2/100T, davon 25,6 PTC, 2,6 andere Ca´s,, was dafür spricht, dass die papill. Microca`s mitgezählt und die Inzidenzrate dadurch angehoben wurde. Ganz zu schweigen von Südkorea mit Sono-Screeningsprogramm: gesamt 148,5/100T Einw., davon 143,3 PTC`s, 5,2 andere Ca`s.

    Zu den operativen DRG`s: Hier kann man den Chirurgen nicht die gesamte Schuld zuschieben, die meisten Patienten werden ja von Hausärzten, Internisten und Nuklearmedizinern zur Operation überwiesen, die die Chirurgen in der Regel nicht ablehnen können (hochspezialisierte Zentren vielleicht ausgenommen)…

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