Medizinische Kurznachrichten der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie
(Prof. Helmut Schatz, Bochum)

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Bewegung, nicht Vitamin D zur Vorbeugung von Stürzen und Knochenbrüchen! Die neuesten Empfehlungen


Bochum, 18. April 2018:

Gestern erschienen im Journal der Amerikanischen Ärztegesellschaft (JAMA) online eine Reihe von wissenschaftlichen Artikeln, Stellungnahmen und Editorials (1,2), welche die Vitamin-D-Gabe zur Verhinderung von Stürzen und Knochenbrüchen untersuchten und keinen Nutzen von Vitamin D mit oder ohne Kalzium fanden.

Die aktualisierte Stellungnahme der US-amerikanischen Behörde zur Krankheitsverhütung (USPSTF, Lit. 1) revidierte auf Grund der jetzt vorliegenden Daten aus 62 Studien an 35.000 Personen ihre eigene Einstufung von 2012 bei Personengruppen ohne Osteoporose und ohne Vitamin-D – Mangel, wie auch immer dieser definiert worden war: Anstelle der früheren Empfehlung von Grad B stufte sie jetzt den  Nutzen von Vitamin-D auf Grad D zurück: „The D recommendation means that the task force discourages use because of moderate or high certainty of no net benefit or that  harms outweigh benefits“. Zu den Schädigungen (harms) heisst es: „The task force did find sufficient evidence confirming an increased risk for kidney stones with combined vitamin D and calcium supplementation, and indicating no increased incidence of cardiovascular disease with vitamin D” (etwa über Koronarverkalkung, aber auch keine Verringerung; Anmerkungen  des Referenten).

Für Frauen >65 Jahre, die nicht in  betreuten Heimen leben, wird Vitamin-D-Supplementierung nicht durchgehend empfohlen. Vielmehr wird auf Grund der Analysen der multifaktoriellen Programme mit verstärkter körperliche Aktivität diesen ein hoher Nutzen zur Verhinderung von Stürzen und damit von Knochenbrüchen zugesprochen. Darüber hinaus würde verstärkte körperliche Aktivität auch in dieser Bevölkerungsgruppe die Risiken anderer chronischer Erkrankungen wie sie im Alter auftreten reduzieren (2).

Für asymptomatische Männer und prämenopausale Frauen gebe es nicht genügend Evidenz, dass Vitamin-D – und Kalziumsupplementation, allein oder kombiniert, Knochenbrüche verhindern würde. Für postmenopausale Frauen sei die Evidenz zu gering, als dass die Nutzen-Schaden-Relation für eine tägliche Supplementgabe von Vitamin-D-Dosen über 400 Einheiten und von Kalzium über 1000 mg ausreichend sei. Von täglichen Gaben unter 400 Einheiten Vitamin-D und unter 1000 mg Kalzium wird abgeraten. Die Task Force identifizierte aber eine Arbeit mit 100.000 Einheiten  Vitamin-D alle vier Monate, die einen Nutzen zeigte (3), andererseits auch eine mit 100.000 Einheiten Vitamin-D monatlich, die kein verringertes Frakturrisiko ergab (4).

Für eine hoffentlich definitive Antwort auf die Frage zum Nutzen einer Vitamin-D-Gabe wird man die Auswertung der beiden großen, prospektiven randomisierten Doppelblindstudien abwarten müssen, der amerikanischen VITAL-Studie und der australischen D-HEALTH Study. Deren Resultate sollten Ende 2018 bzw. 2025 vorliegen. Gewiss wird man eine Differenzierung zwischen Menschen mit etablierten (muskuloskelettalen und anderen) Erkrankungen sowie unterschiedlichen Vitamin-D-Ausgangsspiegeln und / oder deren Werten im Verlauf, soweit vorhanden, vornehmen.

Helmut Schatz

Literatur

(1) Janelle M. Guirguis-Blake et al.: Interventions to prevent falls in older adults. Updated evidence report and systematic review for the US Preventive Services Task Force.
JAMA online April 17, 2018

(2) Heike A. Bischoff-Ferrari et al.: Preventing fracures and falls. A limited role for calcium and vitamin D supplements?
Editorial. JAMA 2018. 319(15): 1552-1553

(3) US Preventive Services Task Force: Vitamin D, calcium, or combined supplementation for the primary prevention of fractures in community-dwelling adults: US Preventive Service recommendation statement.
JAMA online April 17, 2018

(4) D.P. Trivedi et al.: Effect of four monthly oral vitamin D3 (cholecalciferol) supplementation on fractures and mortality in men and women living in the community.
Brit Med J 2003. 326 (7387):469

(5) K.T. Khaw et al.: Effect of monthly high-dose vitamin D supplementation on falls and non-vertebral fractures.
Lancet Diabetes Endocrinol. 2017. 5(6):438-447

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Publiziert am von Prof. Helmut Schatz
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4 Antworten auf Bewegung, nicht Vitamin D zur Vorbeugung von Stürzen und Knochenbrüchen! Die neuesten Empfehlungen

  1. Jakob sagt:

    Sehr geehrter Herr Schatz,

    Laut RKI ( https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/Vitamin_D/FAQ05.html ) weisen circa 18 % der in Deutschland lebenden Bevölkerung einen moderaten oder schweren Vitamin D Mangel auf.
    Da ich davon überzeugt bin, dass Sie mit den Zahlen des RKI zur Vitamin D-Versorgung in Deutschland durch ihre langjährige Arbeit vertraut sind, kann ich mir die nachfolgende Passage aus „ZWP Online“, in der Sie zitiert werden, lediglich mit einem Missverständnis seitens des Redakteurs erklären: „[…]Von einem Mangel sprechen Mediziner aber erst, wenn der Wert noch viel tiefer liegt – 10 ng/ml für einen moderaten und 5 ng/ml für einen schweren Mangel. Beides komme relativ selten vor, sagt Schatz.[…]“
    ( Quelle: https://www.zwp-online.info/zwpnews/dental-news/branchenmeldungen/hype-oder-sinnvoller-schutz-so-viel-vitamin-d-braucht-der-mensch )

    Gehe ich richtig in der Annahme, dass es sich um ein Fehlzitat handelt? (Die sich ansonsten in mir einstellende kognitive Dissonanz wäre sonst zu stark…)

    Denn:
    Ein Bevölkerungsanteil von 18 % Deutschlands sind alles andere als „relativ selten“, entspricht dies doch 15 Millionen Menschen!
    Und: An den 18 % hat sich seit 1998 nichts verbessert, es wurde im Gegenteil eher sogar noch schlimmer (siehe DEGS1 von 2011).

  2. Helmut Schatz sagt:

    Lieber Herr Jakob (Sie sind doch Prof. Franz Jakob?), Die Zahlen des Robert -Koch- Instituts, Stand 27.6.2014 beruhen auf den Vitamin-D-Messungen im Blut bei 4030 Erwachsenen (Teilnehmer des Ernährungsmoduls BGS98 und 10.015 Kindern und Jugendlichen (KiGGS-Teilnehmer). Diese zeigen – gemittelt für männliches und weibliches Geschlecht – einen „schweren Vitamin-D – Mangel“ (<5.2 ng/ml / <12.5 nmol/l) bei 3-17 Jährigen von etwa 3.8% und von etwa 2 % bei 18-79 Jährigen. Ein "moderater Mangel" (5.2 – <10 ng/ml / 12.5 – <25 nmol/l ) findet sich bei etwa 15.5 bzw. 14.2%. Das sind die Zahlen, die Sie, lieber Herr Jakob, auch richtigerweise zitieren. Zunächst: Das würde aber auch nicht für eine generelle Vitaminisierung der Nahrung ("fortified food") oder eine Empfehlung reichen, Vitamin-D nicht gezielt bestimmten (Risiko-)Personengruppen, sondern breit der Bevölkerung zuzuführen. Ganz abgesehen davon, dass sich die heutige Medizin in der Prophylaxe und Therapie an den OUTCOMES orientiert, nicht mehr nur an pathophysiologischen Überlegungen und an Surrogatparametern aus epidemiologischen Kohortenstudien, Querschnittsuntersuchungen usw., die überdies auch nicht genügend gepowert waren. Die OUTCOMES der großen RCT´s "VITAL study" und "D-Health study" werden, wie oben erwähnt, erst Ende 2018/2019 bzw. 2025 bekannt werden.
    Zu Ihrer Frage: der Ausdruck "relativ selten" stammt so nicht von mir. Ich habe die ganze Publikation trotz Bitte um Ansicht zur Approbation durch mich vorher nicht gesehen, was leider immer wieder vorkommt.

  3. A. Triebel sagt:

    Ich glaube nicht, dass es die definitive Antwort zum Nutzen des Vitamins D je geben wird. Es sind ja auch viele Ärzte in Studien verliebt. Und besonders die Vorstellung, dass man mit einer Pille vermutete negative Einflüsse unserer Lebensweise und unserer Zivilisation ausgleichen könne, ist so tief in den Köpfen verankert, dass nur schwer dagegen anzukommen ist.
    Wenn das Vitamin D abgegrast ist, wird ein anderes Vitamin in den Vordergrung gerückt oder es dreht sich wieder alles um ein angeblich fehlendes Mineral.
    Die Vorstellung, dass man der Unbill des Lebens machtlos ausgeliefert ist, ist nur schwer zu ertragen.

  4. jens schaper sagt:

    Die Häufigkeit eines moderaten oder schweren Vit.D Mangels nach dem RKI entspricht der von Laktoseintoleranz in Deutschland..Soll man deshalb die Milch abschaffen? Bei Laktoseintoleranz hat man Symptome, den Vitamin.D Mangel kennt man durch Spiegelmessungen und hat oft keinerlei Symptome

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