Bochum, 20. September 2018:
Die freiwillige Euthanasie als „aktive Sterbehilfe“ ist als weltweit erstem Land in den Niederlanden seit dem 1. April 2002 sowie in Belgien und Luxemburg gesetzlich gestattet, seit 2016 auch in Kanada (1). Die Ärzte haben den Willen eines Patienten zur Beendigung seines Lebens zu respektieren, sind aber nicht verpflichtet, dabei aktiv mitzuwirken. Die Unterschiede zwischen einer passiven, indirekten, assistierten und aktiven Sterbehilfe wurden im DGE-Blogbeitrag vom 23. August 2014 dargestellt (2). Der DGE-Blog zur Euthanasie in NS-Deutschland („T4-Aktion“) thematisiert diese Problematik ebenfalls (3). In einer Presseerklärung beschrieben am 12. Dezember 2014 in Berlin die Präsidenten und Vertreter aller 17 Landesärztekammern die Aufgabe von Ärzten (4). Prof. Dr. med. Frank Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer, erklärte, dass das ärztliche Tätigkeitsfeld in allen Berufsordnungen der Landesärztekammern in der bekanntgegebenen Diktion einheitlich und bundesweit festgelegt sei. Alle Präsidenten und Vertreter der 17 Landesärztekammern stellten geschlossen fest, dass „Tötung von Patienten, auch auf deren Verlangen („aktive Sterbehilfe“) und Beihilfe zum Suicid („assistierte Sterbehilfe“) nicht zu den ärztlichen Aufgaben“ gehöre.
Jetzt erscheint am 6. September 2018 im New England Journal of Medicine ein Artikel, welcher die Konsequenzen der aktiven Sterbehilfe, wie sie nun auch in Kanada legal ist, für die Organtransplantation schildert. In den Niederlanden, in Belgien und Luxemburg wurde 2016 geregelt, dass Patienten, welche die freiwillige Euthanasie wünschen, ihre Organe spenden können (5). In dem hier besprochenen Artikel (1) wird aber besonders darauf hingewiesen, dass die freiwillige Euthanasie und die Zustimmung zur Organentnahme zwei prinzipiell verschiedene, streng zu trennende Vorgänge sind.
Der aktive Suicid kann in den Niederlanden seit dem 1. Februar 2012 durch ambulante Sterbehilfeteams in der Wohnung der Patienten oder auch andernorts erfolgen, in Kanada – im Unterschied zum assistierten Selbstmord – nicht zuhause oder außerhalb eines Krankenhauses , sondern in Kliniken. Dies erleichtert Organspenden. Freiwillige Euthanasie unterscheidet sich aber von der üblichen Betreuung auf Intensivstationen darin, dass Medikamente mit dem primären Ziel gegeben werden, den Tod herbeizuführen. Ärzte sind weder ethisch noch gesetzlich verpflichtet, die Medikamente zu titrieren, wie etwa Morphium je nach Schmerzzuständen schrittweise zu steigern („indirekte Sterbehilfe, siehe Lit. 2) , sondern können diese rasch in hoher Dosis verabfolgen. Wenn der Patient vorher seinen ausdrücklichen Willen zur Organentnahme erklärt hat, kann diese vorgenommen werden. Wichtig ist, bei den Menschen nach freiwilligen Euthanasie wie immer bei Organentnahmen dem ethischen Konzept der traditionellen „dead donor rule“ zu folgen (6): Die Todeserklärung erfolgt zusammen mit den Resultaten der technischen Untersuchungen typischerweise 2 – 10 Minuten nach Pulslosigkeit, die auch durch einen vorher platzierten arteriellen Katheter feststellbar ist.
Bei Patienten sind die nach freiwilliger Euthanasie entnommenen Organe meist in besserem Zustand als bei sich über längere Zeit hinziehenden Sterbeprozessen. Kontrovers wird zur Zeit in Kanada sogar diskutiert, ob man die Organqualität durch Heparingabe in der prämortalen Periode verbessern kann.
Für die Eignung der Organe gelten bei freiwilliger Euthanasie und Zustimmung zur Organspende dieselben Kriterien wie bei Menschen, die nicht durch aktive Sterbehilfe zu Tode kamen. Seit einigen Jahren entnimmt man als „Notlösung“ in bestimmten Fällen sogar schon Organe von Krebspatienten. Manchmal wird bei einem Organspender auch erst nach der Entnahme bei der Obduktion ein okkultes Karzinom entdeckt. Empfänger von Organen Krebskranker stehen unter strenger Nachbeobachtung; bisher ist das Auftreten des betreffenden Malignoms beim Empfänger erfreulicherweise verschwindend gering (laut Berichten in 0%, 0.001% oder 0.1%)
Nach der Statistik über den assistierten Suicid in der Schweiz aus dem Jahre 2014 (Lit.2) litt etwa die Hälfte der Patienten, welche die Sterbehilfeorganisationen in diesem Land in Anspruch nahmen, an neurologischen Krankheiten (meist Morbus Parkinson und Multiple Sklerose), ein Drittel an Krebs, ein Viertel an rheumatischen und 3% an mentalen Erkrankungen einschließlich Demenz (auch Mehrfacherkrankungen). In der Statistik der Niederlande über den aktiven Suicid (freiwillige Euthanasie) aus dem Jahre 2016 litt der weitaus größte Teil an bösartigen Erkrankungen.
In den Niederlanden sind nach der Freigabe im Jahre 2002 die Zahlen für den aktiven Suicid kontinuierlich gestiegen. Derzeit sind 4% aller Todesfälle in diesem Lande darauf zurückzuführen. Auch deshalb gibt es in Deutschland zunehmend Stimmen, die vor seiner gesetzlichen Freigabe warnen. Ein mögliches Problem sieht der Referent aus seiner Erfahrung als jahrzehntelanger Leiter der Intensivstation seiner Bochumer Klinik darin, dass dann Angehörige aus Mitleid, ob falsch verstanden oder nicht, oder wegen der Belastung in der häuslichen Betreuung und Pflege kranke und hilflose Angehörige zur Zustimmung zum aktiven Suicid indirekt oder auch direkt drängen könnten. In den Niederlagen befürchten schon manche älteren und kranken Menschen, wegen der sehr liberalen Handhabung mehr oder minder ungewollt umzukommen und tragen einen Ausweis bei sich, eine so genannte Credo Card mit der Aufschrift „Maak mij niet dood, Doktor = Töte mich nicht, Doktor“, um nicht „versehentlich“ euthanasiert zu werden.
Im Anschluss an den Beitrag vom 23. August 2014 (2) gab es eine lebhafte Diskussion zu diesem Themenkomplex. Die Leser werden gebeten (ggf. mit Spitznamen), ihre Sicht nach nunmehr vier Jahren bekanntzugeben, insbesondere in Verbindung mit der Organentnahme zur Transplantation.
Helmut Schatz
Literatur
(1) Ian M. Ball et al.: Voluntary Euthanasia – Implications for Organ Donation.
New Engl. J. Med. 397;10. September 6, 2018, p. 909-911
(2) Helmut Schatz: „Selbstmord-Tourismus“ in die Schweiz stark gestiegen.
DGE-Blogbeitrag vom 23. August 2014
(3) Helmut Schatz: T4 – Abkürzung für „Thyroxin“, aber auch für „Tiergartenstraße 4“, die Tötungsaktion der Nationalsozialisten.
DGE-Blogbeitrag vom 2. September 2018
(4) Helmut Schatz: „Das Leben zu erhalten, die Gesundheit zu schützen und wiederherzustellen, Leiden zu lindern und Sterbenden Beistand leisten“.
DGE-Blogbeitrag vom 1. Januar 2015
(5) J. Bollen et al.: Legal and ethical aspects of organ donation after euthanasia in Belgium and the Netherlands.
J. Med. Ethics 2016; 42:4896-489
(6) J.A. Robertson: The dead donor rule. Hastings Cent.
Rep.1999; 29(6): 6-14
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Mord und Selbstmord hat es immer schon in der Menschheitsgeschichte gegeben.
Sterbehilfe ist eine neue Form des Selbstmordes, den man nicht selbst begeht, sondern ausführen lässt
mit nicht zu vernachlässigenden Verantwortungsproblemen.
Völlig neu ist mir die präsuicidale Vorbereitung, um nach dem Todeseintritt gesündere Organe entnehmen zu können:
Da entwickelt sich unter den strengen Augen von Ethikkommissionen eine neue Form von Kannibalismus.
Univ.-Prof. . Dr. Klaus Ehrenberger
emer. Direktor der Universitäts-HNO-Klinik Wien
In den Niederlanden diskutiert man bereits ernsthaft über eine gesetzliche Regelung für einen Tod auf Verlangen „nach erfülltem Leben“, also auch ohne Erkrankung. Im schweizerischen Rundfunk gab es darüber im Januar 2018 eine Sendung mit dem TItel: „Zu gesund zum Sterben, zu müde zum Leben“.
Soll gehen dürfen, wenn jemand sein Leben als erfüllt betrachtet? Die Niederlande rütteln damit am letzten Tabu der Sterbehilfe.
Wenn ich mein Befinden in manch schwerer Lebenssituation und die Endphase mit medizinisch klar definiertem Todesurteil vergleiche, dann stehe ich zu einem von mir gefällten Entschluß für einen Suizid. Das Problem liegt wohl darin, daß ich mir die fast untragbare psychische Belastung begleitet von körperlichen Schmerzen kaum vorstellen kann.
Deshalb kann man auch relativ locker über die wesentliche Aufgabe des Mediziners diskutieren, welche in der unbedingten Erhaltung des Lebens besteht.
Problematisch bleibt der Zeitpunkt der Entscheidung, weil man zunächst noch Hoffnung verspürt, im fortgeschrittenen Stadium hingegen nicht mehr zurechnungsfähig sein könnte.
Hinsichtlich einer Organtransplantation sollte diese sofort nach dem Entschluß für einen Suizid durchgeführt werden können.
Zwar sind die Themen heikel aber das heisst nicht dass wir davor zurück schrecken sollten , Sie anzupacken.
Jahr für Jahr sterben Lebenswille menschen weil die Organe fehlen.
In Europa ist in einigen unserer Nachbarländer die assistierte und teilweise auch die aktive Sterbehilfe (Suizid) legal. In Deutschland wird darüber noch diskutiert. Da die Bevölkerung durch die Fortschritte in der Medizin und das Wissen über eine gesunde Lebensweise immer älter wird, liegt es auf der Hand zu entscheiden, ob auch hier die Möglichkeit aus dem Leben zu scheiden durch Mithilfe von Medikamenten wahrgenommen werden kann. Ich bin der Meinung, dass dieser Schritt erlaubt werden muss, wenn eine schwere Krankheit oder eine schleichende Demenz eine Person freiwillig dazu bringt, aus dem Leben zu scheiden. Nun wurde es auch in Kanada gesetzlich möglicht, dass ein Patient, der den aktiven Suizid will, gleichzeitig seine Organe spenden kann. Das eine darf nie vom anderen abhängen, aber wenn der Wunsch besteht, die Organe zu spenden und in der Welt großer Bedarf nach Spendeorganen bekannt ist,ist es von großer Nützlichkeit diese in einer Klinik zu entnehmen, wo auch der aktive Suizid praktiziert wird, da wertvolle Zeit gespart wird und die Organe noch keinen Schaden genommen haben. Ich bin somit auch für eine solche Organentnahme. Die Bedenken, sich über Glaubens- und Moralfragen hinwegzusetzen, halte ich auf Grund der Hilfe für andere vertretbar.
Tod auf Verlangen – ein Akt der Menschlichkeit?
Eine objektive Betrachtung dieser Thematik scheint unmöglich zu sein. Die Befürworter sprechen von einem Akt der Barmherzigkeit, die Gegner von einem ethisch verwerflichen Tun. Befürwortern der Sterbehilfe sei geraten sich mit der Arbeit der Palliativmedizin und Sterbebegleitung zu beschäftigen. Durch eine medikamentöse Schmerzlinderung und Symptombehandlung wird ein Sterben in Würde und mit erträglichem Leiden möglich. Die menschliche Unterstützung ist von größter Bedeutung, sie gibt das Gefühl, nicht allein gelassen zu sein. Palliativmediziner berichten, dass kein Mensch nach einer Euthanasie bei entsprechender Betreuung verlangt, verlangt wird die Euthanasie, wenn die psychischen, sozialen und physischen Probleme unüberbrückbar erscheinen, dann wird der Mensch in eine suizidale Enge geführt. In unserer schnelllebigen Gesellschaft bietet ein Sterbeprozess oft erst die Möglichkeit für Sterbende, den Sinn ihres zurückliegenden Lebens wirklich zu erkennen. Diese wertvolle Zeit für den Sterbenden und deren Angehörige durch aktive Sterbehilfe zu kürzen, ist ethisch nicht vertretbar.
Noch weniger vertretbar ist, Organe bei Menschen, die nach einem Suizid verlangen, vorzubereiten, diese nach dem Tod zu entnehmen und zu transplantieren. Dieses Szenario ist absolut verwerflich.
Es drängt sich die Frage auf, welche Ärzte sind bereit, in einem größerem Stil, das Leben auf diese Weise zu beenden? Wo ist eine ethische Grenze? Welches Leben ist Wert weiterzuleben, welches Leben darf/muss beendet werden?
Schon in der Bibel steht, dass Kain seinen Bruder Abel ermordete und der Apostel Judas Selbstmord mit dem Strick beging.
Es ist eine schwer auszuhalten Geschichte: Ein Mann hat fortgeschrittenen Parkinson und entscheidet sich für den Suizid. Seine gesunde Frau will nicht allein zurückbleiben, und so entscheidet sich das Paar, gemeinsam zu sterben. Sie haben einen erwachsenen Sohn, den sie einweihen. „Der Sohn ist aufgewühlt, traurig, verzweifelt, wütend, will seine Eltern von ihrem Entschluss abbringen, wenigstens die Mutter, doch es hilft nichts. »Ich weiß, es ist ein zutiefst egoistischer Gedanke, aber er ist von Liebe getragen«, sagt sie. »So wie Eltern ihre Kinder ziehen lassen, müssen Kinder auch ihre Eltern ziehen lassen«, sagt der Vater“.
Es kommt dann alles anders und schlimmer. Unter dem Titel: „Die Exit-Strategie“ (https://sz-magazin.sueddeutsche.de/leben-und-gesellschaft/die-exit-strategie-82324) beleuchtet dieser sehr lesenswerter Artikel die Konsequenzen, die ein assistierter Suizid für den unmittelbaren Angehörigen hat.
Sind wir nicht Ärzte um Leben zu erhalten wo wir es können, Lebensqualität zu verbessern und ja, Leiden zu lindern gehört genauso essentiell dazu, besonders in der Palliativmedizin, aber aus meiner Sicht KEINESFALLS Leben aktiv zu beenden!
Auf ein Diktum Friedrich Schillers antwortet Heinrich Heine: „Das Leben ist der Güter höchstes und das schlimmste Übel ist der Tod.“ Das gilt auch heute noch: Das Leben in all seinen Varianten und Schattierungen (was Schatten einschließt) zu bewahren und zu fördern, ist Aufgabe der Ärzte und Wille der Menschen, auch wenn sie sich unter dem Druck konkreter Befindlichkeiten anders äußern. Die Diskussion um Sterbehilfe erinnert an die Auseinandersetzungen um die Abtreibung: Suicid als Abtreibung der Alten?
Sollte der Prozess bösartiger Erkrankung nach überprüfter Erkenntnis sicher zum Tode führen, sind nach gemeinsamer Beratung der Beteiligten aktiver oder passiver Suicid nur mit Ärzten des Vertrauens denkbar, nicht aber in Sterbekliniken.
Der Aufruf zur Organspende bei Selbstmord erinnert an den Ablasshandel des 16. Jahrhunderts: Wer freiwillig aus dem Leben scheidet, kann wenigstens ein letztes Gutes tun! Die Verknüpfung der Themen Suicid und Spende hat viel mit Stärkung von Effizienz, wenig aber mit Verteidigung der Menschenwürde zu tun.
Im NEJM vom 29. November 2018 erschien unter „Perspectives“ ein Artikel mit dem Titel: „Of Tragedies and Miracles – Neonatal Organ Donation“ von Beatrice E. Lechner. Darin wird über Organspende von Neugeborenen berichtet, die kurz nach der Entbindung gestorben sind.