Medizinische Kurznachrichten der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie
(Prof. Helmut Schatz, Bochum)

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GLP-1-Rezeptor-Agonisten und Schilddrüsenkrebs


Französische Studie findet erhöhtes Risiko für alle Formen sowie das Medulläre (C-Zell-) Karzinom

Bochum, 21. März 2023:

Seit sehr vielen Jahren wird das Auftreten von Schilddrüsenkarzinomen sowie des Medullären / C-Zell- Karzinoms unter GLP-1-Rezeptoragonisten beobachtet und beschrieben. Nach Zulassung durch die FDA musste der Beipackzettel für GLP-1-Rezeptoragonisten den Warnhinweis  erhalten, diese Medikamentenklasse nicht bei  Patienten mit Medullärem      (C-Zell-)Karzinomen, einer Familienanamnese für C-Zellkarzinome oder einer Multiplen endokrine Neoplasie Typ 2 anzuwenden. Dieser Warnhinweis basierte auf den Daten von Studien an Tieren.

Beim Menschen besitzen Pankreaszellen GLP-1-Rezeptoren, weshalb diese Medikamentenklasse beim Typ2-Diabetes zur Steigerung der Insulinsektion u.a. Anwendung findet. Diese sind aber nicht die einzigen  menschlichen Zellen: GLP-1-Rezeptoren weisen auch die parafollikulären Zellen (C-Zellen) in der Schilddrüse auf. Bei Nagetieren fand man eine von Dosis und Dauer abhängige Zunahme der Inzidenz von C-Zelltumoren (nicht aber bei Affen). Eine Dekade später ergab eine Überprüfung der FDA-Datenbank unter Exenatid vermehrt Schilddrüsenkarzinome, was in zahlreichen weiteren Studien nicht bestätigt werden konnte: So fand man mit Liraglutid  im LEADER-Trial keinen Hinweise auf eine  derartige Wirkung. Eine neuere Metaanalyse von 45 Studien konnte auch keinen signifikante Effekt von GLP-1 auf Schilddrüsenkarzinome finden,  allerdings ergab sich ein erhöhtes Risiko für alle Formen von Schilddrüsenkrebs, wenn sich auch kein statistisch ein eindeutiges Ergebnis zeigte.

Im März 2023 wurde nun das Ergebnis einer Nested-Control- Analyse aus den Daten des Nationalen Gesundheitsvorsorge-Versicherungssystems (SNDS) in Frankreich publiziert:

Methodik
In die Studie eingeschlossen wurden Typ-2-Diabetespatienten zwischen 2008 und 2019 mit second-line-Diabetesmedikamenten und zwischen 2014-2018 mit GLP-1-Rezeptoragonisten. Als Kontrollen dienten für Alter, Geschlecht und Diabetesdauer gematchte Personen. Es wurden Struma, Hypothyreose, Hyperthyreose,  andere Diabetesmedikamente sowie der  Social Deprivation Index  berücksichtigt.

Ergebnisse
Insgesamt wurden ~2.500 Patienten mit Schilddrüsenkrebs in die Studie aufgenommen und mit ~45.000 Kontrollpersonen verglichen. Die Verwendung von GLP-1-Rezeptoragonisten für 1-3 Jahre war assoziiert mit einem erhöhten Risiko für alle Formen von Schilddrüsenkrebs (HR 1.58, 95% CI 1.27-1.95) sowie für C-Zellkarzinome (HR 1.78, 95% CI 1.04-3.05).

Die Abbildung unten zeigt das „Graphical Abstract“ aus Diabetes Care (1).

Kommentar

In dem begleitenden Editorial von Caroline Thompson und Til Stürmer (2) werden  die Limitationen der Studie angesprochen wie etwa ein Detection Bias, das Case-Control Design, das Fehlern von pathologischen Befunden, die Fehlen von Familienanamnese und Informationen über Obesitas  sowie  keine Adjustierung für vorangegangene Kopf-/Hals-Bestrahlung . Die beiden  Autoren des Editorials schreiben:

„In conclusion, given the prior evidence and the results reported by Bezin et al. in this issue of Diabetes Care, it is possible that GLP-1 RAs cause a moderate relative increase in thyroid cancer, but detection bias cannot be ruled out as an alternative explanation. Thyroid cancer is a rare outcome, however, and the potential increase in absolute risk is very small. Clinicians and patients need to always balance benefit and harm of treatments in light of their alternatives. In a population without specific risk factors for thyroid cancer, the benefits of GLP-1 RAs will largely outweigh the harm“ (2).

Es erscheint danach also angezeigt, nur bei Patienten mit einer persönlichen oder einer Familienanamnese von  Medullärem Schilddrüsenkarzinom oder von  Multipler Endokriner Neoplasie Typ-2  (MEN 2 ) / Autoimmun- Polyendokrinopathischem Syndrom Typ-2 (APS 2) diese Diabetes-Medikamente zu meiden. Es bleibt abzuwarten, ob sich bei der jetzt zunehmend breiten Verwendung von des GLP-1-Rezeptoragonisten Semaglutid zur Gewichtsabnahme auch bei Nicht-Diabetespatienten (Wegovy®) – es sind bereits Engpässe für die Diabetesversorgung entstanden ! –  vermehrt Schilddrüsen- und C-Zellkarzinome zeigen werden.

Helmut Schatz

Literatur

(1) Julien Bezin et al.: GLP-1 Receptor Agonists and the Risk of Thyroid Cancer
Diabetes Care. 2023; 46(2):384-390. doi:10.2337/dc22-1148

(2) Caroline Thompson, Til Stürmer: Comment: Putting GLP-1 RAs and Thyroid Cancer in Context: Additional Evidence and Remaining Doubts.
Diabetes Care 2023 Feb.1; 46(2):249-251. doi: 10.2337/dci22-0052.

Publiziert am von Prof. Helmut Schatz
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3 Antworten auf GLP-1-Rezeptor-Agonisten und Schilddrüsenkrebs

  1. Im Jahre 2022 fand eine Meta-Analyse zwar eine Assoziation der Verwendung von GLP-1-Agonisten mit Schilddrüsenerkrankungen im Allgemeinen, nicht aber mit Karzinomen. Eingeschlossen in die systematische Auswertung waren 45 Studien mit in der Summe 52600 Personen in der Medikationsgruppe und 41463 in der Kontrollgruppe.

    Vorsicht ist sicher dennoch angebracht. Beispielsweise sind sonographische und laborchemische Verlaufskontrollen der Schilddrüsenmorphologie und -funktion angezeigt.

    Literatur
    Hu W, Song R, Cheng R, et al. Use of GLP-1 Receptor Agonists and Occurrence of Thyroid Disorders: a Meta-Analysis of Randomized Controlled Trials. Front Endocrinol (Lausanne). 2022;13:927859. Published 2022 Jul 11. doi:10.3389/fendo.2022.927859 https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/35898463/

  2. Rainer Kirmse , Altenburg sagt:

    Ein Gedicht über das kleine
    Organ mit großer Wirkung:

    DIE SCHILDDRÜSE

    Schmetterlingsähnlich
    zeigt sie am Kehlkopf sich.

    Das unscheinbare Gebilde
    führt gar vieles im Schilde.
    Von der Bedeutung ein Riese,
    ist keine Drüse wie diese.

    Sie liefert uns viele Hormone,
    und ist auch sonst nicht ohne.
    Vom Fuße bis hinauf zum Haar
    wirkt sie im Körper wunderbar.

    Hier zu halten alles im Lot,
    braucht die Drüse etwas Jod.
    Da sollten Jodsalz und Seefisch
    öfters kommen auf den Tisch.

    Kriselt das Organ irgendwann,
    muss natürlich der Arzt ran;
    bei Struma und Hashimoto,
    genauso wie bei Basedow.

    Von Über – und Unterfunktion
    hat man gehört wohl schon.
    In der HNO – Sprechstunde
    erklärt man uns die Befunde.

    Bei heißen und kalten Knoten
    ist immer Vorsicht geboten.
    Manchmal hilft nur das Messer,
    am Ende fühlt man sich besser.

    Hüten wir gut dieses Objekt,
    das in unserem Halse steckt.
    Mit der Schilddrüse Gesundheit
    ersparen wir uns manches Leid.

    Rainer Kirmse…

  3. Helmut Schatz sagt:

    Danke für die dichterische Beschreibug der Schilddrüse.
    Wenn das Gedicht von Ihnen stammt, dann eine „thyreologische Gratulation“1
    Helmut Schatz

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