Bochum, 17. Oktober 2013
Bei 40 Frauen mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung verbesserte Oxytocin als Nasenspray das krankheitstypische Symptom, beim Gegenüber einen vermeintlich bedrohlichen Gesichtsausdruck wahrzunehmen (1).
Katja Bertsch et al. von der Universität Heidelberg dienten bei dem Plazebo-kontrollierten Doppelblindversuch 41 gesunde Frauen als Kontrollgruppe (1). Es wurde 45 Minuten nach intranasaler Zufuhr von Oxytocin oder Plazebo ein emotionaler Klassifikationstest durchgeführt. Dann wurden die Zahl und Dauer der initialen Augenfixierungen, die manuelle Reaktionsgeschwindigkeit und die Aktivierung des Mandelkerns im Temporalhirn (Amygdala) durch funktionelle Kernspinaufnahmen verglichen. Bei Borderline-Persönlichkeitsstörung wurden mehr ruckartige Fixierbewegungen der Augen (Sakkaden) und schnellere Änderungen der Augenfixierungen gefunden, ebenso der Orientierung auf die – vermeintlich – böse Mimik des Gegenübers. In der Kernspinuntersuchung zeigte sich eine stärkere Aktivierung des Amygdala. Oxytocingabe normalisierte das Verhaltensmuster und die neurobiologischen Veränderungen (1). Eine etwa zeitgleiche Studie aus der Bochumer Psychiatrischen Universitätsklinik zur Gabe zur Gabe von Oxytocin vor einem Geldspiel zeigte allerdings, dass das „Bindungshormon“ Oxytocin das Vertrauen von Borderline-Patienten in bestimmten Situationen offensichtlich auch reduzieren kann: In Abhängigkeit von Traumaerfahrungen in der Kindheit vertrauten die Probandinnen ihren Spielpartnern in einem Geldspiel im Vergleich zu Kontrollpersonen nach Oxytocin-Gabe weniger Geld an (2).
Kommentar
Eric Hollander vom Albert Einstein College und Montefiore Medical Center, New York schlägt in seinem Editorial zu der Arbeit von Katja Bertsch et al. (1) vor, Medikamente zur Erhöhung der Oxytocin-Aktivität mit psychosozialen Interventionen zu kombinieren, um das Sozialverhalten und die sozialen Entscheidungsprozesse bei Borderline-Persönlichkeitsstörungen und vielleicht auch anderen Diagnosen wie etwa bei Depression zu verbessern (3).
Die meisten Symptome einer „Borderline-Persönlichkeitsstörung“ wurden 1938 von dem amerikanischen Psychoanalytiker Adolf Stern beschrieben, welcher von einer „borderline group“ sprach (4). Aus psychoanalytischem Verständnis nahm er einen Übergangsbereich von neurotischen zu psychotischen Störungen an. Heute ist die Störung als klar definiertes Krankheitsbild im Diagnostic and Statistical Manual der Amerikanischen Psychiatrischen Gesellschaft (DSM-IV) anerkannt. Es handelt sich um eine Störung, bei der genetisch-neurobiologische Faktoren wie das körpereigene Opioidsystem, Stresshormone und Serotonin mit Umweltfaktoren wie negative Bindungserfahrungen, besonders in der Kindheit zusammenwirken (siehe 5).
Die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie hat sich im November 2012 auch zu Oxytocin-Effekten ausserhalb des geburtshilflichen Bereichs geäussßert (6). Die jetzigen Befunde zeigen einmal mehr die große Bedeutung von Hormonen, Neurotransmittern und Zytokinen beim Menschen auf, nicht nur auf biologischem, sondern auch auf psychischem Gebiet.
Helmut Schatz
Literatur
(1) K. Bertsch et al.: Oxytocin and reduction of social threat hypersensitivity in women with borderline personality disorder.
Am. J. Psychiatry 2013. 170:1169-1177
(2) M. Brüne et al.: Oxytocin influences avoidant reactions to social threat in adults with borderline personality disorder.
Hum. Psychopharmacol. 2013. Aug.16. Epub ahead of print. doi: 10.1002/hup.2343
(3) E. Hollander: Social synchrony and oxitocin: from behaviour to genes to therapeutics.
Editorial. Am. J. Psychiatry 2013. 170:1086-1089
(4) A. Stern: Psychoanalytic investigation of and therapy in the borderline group of neuroses.
Psychoanal Q 7:467-489, 1938
(5) G. Juckel, M.A. Edel: Neurobiologie und Psychotherapie: Integration und praktische Anwendung bei psychischen Störungen.
Schattauer-Verlag, Stuttgart-New York 2013, im Druck
(6) K. Döhler: Oxytocin hält flirtende Männer auf Distanz.
DGE-Blogbeitrag vom 16. November 2012
Am 2. Dezember 2013 erschien in den Proc.Nat.Acad.Sci, online ein Arbeit von I. Gordon et al., die mit funktionellem MRI zeigt, daß Oxytocin-Nasenspray bei 17 autistischen Kindern die Gehirnfunktion verbessert, insbesondere für sozial wicxhtige Stimuli. Die Autoren meinen, daß eine Oxytocingabe am wirkungsvollsten kurz vor der – etablierten – Verhaltenstherapie sein dürfte.